»you’ll never walk alone«

  • 16.06.2022 (aktualisiert)
  • von Marion King
  • Lesezeit: 10 Minuten
Eine Ermutigung, die eigenen Zweifel, Bedenken, Befürchtungen, Ängste, aber natürlich auch Ideen zu teilen, sich mit anderen zusammenzuschließen. Wie man aus einem "Safe Space" einen "Brave Space" macht. Community it is!
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Wir werden so oft von Menschen kontaktiert, die uns einfach nur sagen wollen, dass sie froh sind, dass jemand (also wir) laut und öffentlich ausspricht, dass in den Unternehmen ganz schön was im Argen liegt, dass mit unseren Arbeitssystemen irgendetwas schief läuft, dass sie das Gefühl haben, dass wir alle weit entfernt sind von zeitgemäßem Arbeiten, von menschen-freundlichen Organisationen, einem guten Miteinander, ganz abgesehen von Nachhaltigkeit und Zukunftsfähigkeit.

Und dass sie, also diese Menschen, die uns kontaktieren, das eigentlich auch so oft denken, aber nicht wagen, es auszusprechen – vor allem nicht in ihrem direkten Umfeld, ihrer Firma. Weil ja alle um sie herum so wunderbar in diesem System funktionieren und klaglos mitmachen. 

Vielleicht denke ich ja falsch…

Vielleicht fühle ich ja falsch…

Vielleicht BIN ich ja falsch...

Kennen Sie das?

Willkommen im Club!
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Wir alle sind so sehr an die bestehenden Organisationsformen, Arbeitskulturen, Hierarchien, Entscheidungswege und Machtkonstellationen gewohnt, dass wir gar nicht auf die Idee kommen, dass sie komplett verquer und vor allem aus der Zeit gefallen sein könnten.

Sind sie aber!

Die Grundlagen und Ideen stammen aus einer Ära, in der es (zumindest aus der damaligen Perspektive) gut und richtig war, Menschen in streng voneinander getrennte und abgeschirmte Abteilungen zu stecken, das Denken und Entscheiden sogenannten Führungskräften zu überlassen und Anreize für ein besseres Arbeiten durch Wettbewerb und Intransparenz zu schaffen. (Und das ist nur ein Teil dessen, was heutzutage eine zeitgemäß angemessene Arbeitskultur verhindert.)

Die Zeiten sind jetzt aber andere, die Anforderungen sind andere, die Welt ist eine andere und vielleicht sind wir Menschen auch an einem anderen Punkt – nämlich dem, dass wir so nicht mehr arbeiten und leben wollen.

Aber wie kommen wir zu einer neuen und guten Arbeitswelt? Vor allem, wenn wir merken, dass das Unternehmen in dem ich arbeite, weit entfernt ist von „New Work“-Gedanken.

Schritt 1: Es laut aussprechen! Bedenken, Sorgen, Ängste, Zweifel etc. Alles auf den Tisch! Das ist das Erste und Wichtigste!*

(*Vielleicht noch eine kleine Anmerkung dazu: Schritt 1a ist, das Laut-Aussprechen GUT zu machen. Also, sich nicht einfach nur zu beschweren, sondern ein gutes! Enfant Terrible zu sein: klar und deutlich und gleichzeitig wertschätzend und freundlich und offen. Und vor allem wirklich gut zuzuhören, Neues zu hören, den Anderen zu verstehen. Weg von einer Anklage hin zu einer Einladung an mein Gegenüber, seine Sichtweise zu äußern und im besten Fall an der Veränderung teilzunehmen.)

Und wo geht dieses „Aussprechen“ am Einfachsten? Natürlich bei Menschen, denen ich vertraue.

Es geht also darum, sich im ersten Schritt einen kleinen Kreis an Kolleg*innen zu suchen, bei denen ich das Gefühl habe, dass meine Gedanken gut aufgehoben sind. Das kann erstmal ohne große Weltrettungsgedanken sein. Zum Beispiel im internen Team-Meeting heute ausnahmsweise mal mit meiner Meinung oder meinen Gefühlen nicht hinterm Berg halten, sondern sie ehrlich kundtun. An der Kaffeemaschine mal nicht meckern, sondern die Kolleg*innen explizit zu einem kleinen offenen Gedankenaustausch einladen. Vielleicht hie und da im Gespräch auch eine neue Idee platzieren. Alles in erster Linie, um zu sehen, wen es da noch so im Unternehmen gibt, der sich angesprochen fühlt, mit dem man sich zusammentun könnte. Gegebenenfalls kann man damit auch schon erste Resonanz und Bewegung erzeugen. Aber alles ganz schlicht.

Das ist ein erster guter Schritt.

Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/You%E2%80%99ll_Never_Walk_Alone#/media/Datei:Shankly_Gates.jpg

Das Motto des FC Liverpool (@Andy Nugent, Wikipedia)

Ein sicherer Ort für gute Gedanken – und Taten

Der nächste, aktive Schritt in Richtung Veränderung ist, Menschen zu „meinem Thema“ zu finden, mit denen ich mein Anliegen ausloten, vertiefen, lernen bzw. Ideen dafür entwickeln will. Das kann natürlich eine Arbeitsgruppe im Rahmen eines Transformations-, Organisations- oder Kulturentwicklungsprojektes im Unternehmen sein – muss es aber nicht. Wir haben viele Kunden, bei denen es einfach eine Initiative in der Organisation ist – von Kolleg*innen für Kolleg*innen. SAP hat z.Bsp. eine riesige internationale New Work-Community, die unabhängig von irgendwelchen „offiziellen“ Programmen agiert.

Es geht darum, freiwillige Gleichgesinnte zu finden und mit denen einen „sicheren Raum“ zu schaffen, in dem Neues erlaubt und möglich sind. Dieser „Safe Space“-Gedanke ist zum Beispiel einer der wesentlichen Aspekte unserer „New Work“-Ausbildung. Wir schaffen einen guten Rahmen, in dem man, offen und ehrlich Themen, seine Gedanken aussprechen, sie diskutieren und Ideen für einen guten Umgang damit entwickeln und auch gleich austesten kann.

In diesem Kreis kann man sich dann auch gemeinsam „neue Geschichten“ erzählen und damit aus alten Gedankengängen, aus alten Glaubenssätzen und letztlich aus altem Verhalten ausbrechen.

Eine solche Gemeinschaft an gleichgesinnten Freiwilligen hat sehr viel Kraft und Potenzial.

Nicht nur, dass Zugehörigkeit und Gesehen-werden eh menschliche Grundbedürfnisse sind, in unsicheren und komplexen Zeiten wie diesen, in denen mehr und mehr die (vermeintliche) Sicherheit im Außen wegfällt, müssen wir sie umso mehr ins Innere verlagern. Erst einmal in mein Innerstes (sprich die eigene Selbstwirksamkeit stärken) und dann in mein näheres Umfeld, meinen Wirkkreis wie zum Beispiel mein Arbeitsteam oder eben eine Community.

Dieser wunderbare Gedanke dazu ist von Natalie Knapp, einer Philosophin, über die wir auch schon hier berichtet haben:

»Wenn wir alle unsere Fähigkeiten zur Verfügung stellen und mehr Gewicht auf die Gestaltung von Beziehungen legen, finden wir uns in einer unübersichtlichen Welt besser zurecht.«

Peter Block, ein amerikanischer Autor und Berater, der sich sehr intensiv mit dem Thema „Community Building“ beschäftigt, sagt, dass es bei einer Community nicht nur darum geht, ein Teil von etwas zu sein, also dazuzugehören, sondern dass in dem Begriff „to belong“ auch die andere Seite steckt, dass etwas ZU MIR gehört, ich dafür Verantwortung trage, zuständig bin. Es wird zu meinem Ding. Auf der einen Seite ist es Zugehörigkeit und Verbundenheit, aber eben auch Einfluss und (Ver-/Be-)Stärkung.

Ein schöner Gedanke ist, dass wir aus „Safe Spaces“ „Brave Spaces“ machen, die Halt und Sicherheit für mutige Taten ermöglichen.

Eine gute Community hat so viele unterschiedliche Facetten ….

… ein sicherer Ort, an dem ich mich ganz zeigen und authentisch sein kann. Er gibt Vertrauen und emotionale Sicherheit.

… ein Resonanzraum, in dem ich Dinge aussprechen, mich selbst sprechen hören und meine Gedanken beim Sprechen verfertigen kann. Gleichzeitig kann ich nach Meinungen und Erfahrungen fragen.

… ein Raum der Stärkung, der Unterstützung, Halt, Kraft und Energie gibt.

… ein Lernraum, in dem wir als Gruppe gemeinsam Neues lernen, uns entwickeln können, in dem wir unsere Erfahrungen und unser Knowhow teilen.

… ein Ideenraum, in dem man gemeinsam forschen, kreativ und innovativ sein kann, in dem jede*r seine Ideen mit einbringt.

… ein Experimentierraum, in dem ich Neues ausprobieren, neue Erfahrungen machen und teilen kann, in dem auch Fehler und Scheitern und Entwicklung erlaubt sind.

… ein Wirk-Raum, in dem wir merken, dass wir selbst die Antworten haben oder geben können, dass wir zusammen mehr sind als eine*r alleine und damit auch Relevanz und Sicherbarkeit erzeugen können.

Aber wie startet man denn eine gute Community?

Vielleicht starte ich ja damit, zu schauen, ob es nicht schon etwas gibt, dem ich mich einfach oder erstmal anschließen kann. Man muss die Welt ja nicht immer gleich neu erfinden. Es gibt zum Beispiel sehr tolle Zusammenschlüsse wie die New Work Women oder die Dive-Community. Es gibt sicherlich Social Media-Gruppen auf Xing oder LinkedIn, die sich mit „meinem Thema“ beschäftigen. Oder eventuell gibt es schon Menschen im eigenen Unternehmen, die sich dazu treffen. Also: erstmal umhören und ein bisschen recherchieren. Und dort starten, sich mit Menschen verbinden, bei denen ich das Gefühl habe, ich bin gut aufgehoben. 

Und wenn ich das nicht finde und/oder lieber eine eigene Community starten möchte, kann das erstmal auch ganz klein geschehen. Wir haben hier ein paar Ideen zum Loslegen gesammelt:

  • ein Buch- oder Lese-Club rund um’s Thema wie z. B. agiles Arbeiten, selbstorganisierte Teams, zeitgemäße Zusammenarbeit oder aber auch Themen wie Vertrauen, Kreativität, Diversität.
  • eine Working-Out-Loud-Initiative – vielleicht mit einem Schwerpunkt-Thema wie  „gute Führung“. Wer mehr über das Konzept und das Vorgehen wissen will, der findet hier alle Infos.
  • einen Film-Abend oder eine -Reihe. Es gibt tolle Filme rund um „New Work“ (Geht doch!“, die Augenhöhe-Filme oder „Stille Revolution“) oder TED-Talks zu einem bestimmten Thema wie „Verletzlichkeit“ mit Brené Brown.
  • kleine Austausch-Formate wie z. B. Walk-to-Talks oder Lunch-Treffen oder Coffee-Talks, die alle ja auch online gehen, bei denen man Menschen, die sich bisher noch nicht kannten, untereinander verbindet.
  • eine Community of Practice gemeinsam mit anderen Expert*innen
  • eine Social-Media-Gruppe (z. B. als internen Teams- oder Slack-Channel)
  • Großgruppen-Events, die offen für alle Interessierten und Freiwilligen sind – für Erfahrungsaustausch oder Ideen-Entwicklung. Z. B. im World Café-Format oder als Barcamp oder als kleines Festival – mit internen wie externen Impulsgeber*innen.

Ein Tool, das übrigens super hilfreich bei der Entwicklung einer Community ist, ist der Community Canvas.

Es ist ein Prozess

Scott Peck sagt in seinem Buch „The Different Drum: Community-Making and Peace“, dass es vier Phasen bei der Entwicklung einer Community gibt: Es startet mit einer sogenannten „Pseudo-Community“, bei der sich die Menschen über das Zusammentreffen und Zusammensein freuen, nett und freundlich miteinander, aber eher noch zurückhaltend und vorsichtig sind. Dann gibt es die Phase des „Chaos“, bei der die Menschen anfangen, ihr wahres Ich, ihre tatsächlichen Gefühle zu zeigen, auch ihre Schattenseiten, was erst einmal zu Verwirrung und Verunsicherung führen kann. Dann gibt es eine Phase der „Leere“, die nötig ist, dass das alles Raum haben darf und integriert werden kann; eine Art des Aushaltens. Bis dann eine „wahre Community“ entsteht, von tiefem Respekt und wirklichem Zuhören und Verstehen-Wollen der Bedürfnisse der Einzelnen geprägt ist.

Ich denke, dass es wichtig ist, vor allem am Anfang die eigene Absicht, die eigene Intention und Motivation für so ein Projekt klar zu haben:

»Was treibt mich da eigentlich an und was ich möchte ich damit erreichen? «

Also vielleicht auch die eigene “Vision” und das Zielbild für sich zu beschreiben. Das muss keine 50-seitige Powerpoint sein, aber ein paar Stichworte, was einem wichtig und lieb ist, sind manchmal ganz hilfreich. Auch eine Klarheit darüber, was meine Rolle in der Community sein soll.
Dann ist es – wie gesagt – gut, mit Freiwilligen und mit Menschen zu starten, die ich gut und passend finde. Es ist absolut erlaubt, sich mit guten Leuten zu umgeben! Bei allem gemeinsamem Interesse ist es trotzdem wichtig, divers zu sein, sich unterschiedliche Meinungen und Ideen und Vielfalt zu sichern. Großzügigkeit finde ich auch einen wichtigen Aspekt: Information, Ideen, Austausch gerne frei geben. Es kommt eh alles zurück. Und letztlich der bereits erwähnte „sichere Raum“, zu dem nicht nur Vertraulichkeit, sondern manchmal auch ein paar gute gemeinsame Regeln und Leitplanken fürs Zusammensein helfen.

Und so wie ich in diesem „Raum“ bin, wird dieser „Raum“ dann auch sein. Brené Brown hat das so wunderbar in ihrem TED-Talk gesagt: es geht in solchen Prozessen darum, sich verletzlich zu zeigen. Ich denke, dass das eine der besten Einladungen für ein gemeinsames Arbeiten ist.

Und noch kurz zu unserer Les Enfants Terribles-Community: ganz ehrlich, eigentlich war meine Idee am Anfang nicht, eine Community zu gründen… Der Start war eine Einladung an Menschen aus dem „New Work“-Kontext, die ich toll fand und von denen ich das Gefühl hatte, dass sie Gleichgesinnte sind, dass sie eine Mission haben, dass sie etwas in dieser Welt bewegen wollen. Diese Menschen wollte ich eigentlich einfach nur auf unserer Webseite zeigen – eine „Demonstration“ nach draussen, dass es gehen kann mit diesem „New Work“. Mittlerweile, viele Workshops, Beiratssitzungen und Community-Events weiter sind daraus ganz unaufgeregt und sich selbst entwickelnd tolle Verbindungen, Geschäftspartner*innen und Freund*innen entstanden. Es sind gut 200 wundervolle Menschen in diesem Netzwerk, die man alle hier sehen kann. Und für die ich sehr dankbar bin! 🙏🏻

Also, wir wünschen viel Freude und Erfolg mit dem Start Eurer Community!
Und wir freuen uns zu hören, wenn aus dieser kleinen Inspiration hier etwas Neues entsteht!


Hier kommen ein paar Buchempfehlungen für alle, die sich mit dem Community-Thema tiefer beschäftigen möchten:

Mehr Buchempfehlungen findet ihr auch noch hier in unserer Bücherliste.

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