»warum clowns? teil 2: gute clowns«

  • 17.06.2020
  • von Martin Ciesielski
Über gute Clowns, Improvisationstheater, Klopapier und das Loslassen …
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“Good improvisers seem telepathic; everything looks pre-arranged, This is because they accept all offers made—which is something no ‘normal’ person would do.” – Keith Johnstone

Es gibt nicht viel, was einem gerade Kraft und Hoffnung geben kann. Die Familie, Gespräche mit Freunden, Musik und gute Filme gehören sicherlich dazu. Gemeinsames Lachen über die Umstände und die absurden Dinge, die wir gerade erleben, sind auch nicht gerade das Schlechteste, was man aktuell in Anbetracht der Ereignisse und Entwicklungen in Sachen Covid-19 tun kann.

Meine liebsten Quellen sind dabei der Postillon, John Oliver und extra3. Aber auch die eigene Spontaneität und den eigenen Humor erlebe ich momentan als sehr, sehr wichtig – insbesondere am Frühstückstisch. Dabei kann es durchaus auch hilfreich sein, sich vor Augen zu führen, wie dieser kleine Virus klingt! Irgendwie ja regelrecht friedlich und niedlich… fast wie ein Gute-Nacht-Lied für die Menschheit!

Als ich vor ein paar Monaten meinen ersten Text über Böse Clowns auf LinkedIn veröffentlichte, war an Covid-19 und die damit einhergehenden Effekte für die Wirtschaft und unser Sozialleben nicht im Ansatz zu denken. Allerdings hatte ich damals schon an einen zweiten Teil gedacht, an einen über die guten Clowns.

Ich hatte bereits zu diesem Zeitpunkt von den Forschungsarbeiten von Jeffrey Johnson von der University of Florida gehört, der sich mit den Eigenschaften von Teammitgliedern beschäftigte, die extremen Herausforderungen ausgesetzt waren. Mit der Mannschaft des Polarforschers Roald Amundsen zum Beispiel. Dort war es der Koch Adolf Lindstrøm, der aufgrund seines Humors einen enormen Beitrag zum Erfolg der Expeditionen von Amundsen beitrug: “Lindstrøm was viewed by others as a great entertainer who helped maintain spirits and morale over the long austral winter. His role was informal but critical for maintaining group cohesion in this extreme environment.“

Wenn uns nun womöglich eine Polarexpedition in eine unbekannte Zukunft bevor steht – warum dann nicht sich ein wenig was bei denen abschauen, die das bereits hinter sich gebracht haben? Humor scheint eine wichtige Ressource für die aktuell so sehr beschworene Resilienz zu sein. Die Widerstandskraft, die psychosoziale Gesundheit und Fitness. Doch was macht humorvolles Handeln aus? Wie kultiviert man seine eigene Spontaneität und Kreativität im Angesicht einer Leere und umgeben von Ängsten?

Improvisationswelten

Sicherlich wird das, was ich im Folgenden dazu sagen und beschreiben werden nicht von jeder und jedem gleich 1:1 umgesetzt werden. Aber vielleicht gibt es ein paar Anregungen. Ein paar Ideen. Die Welt, aus der ich mich dabei bedienen werde, ist die des Improvisationstheaters.

Eine meiner wahrscheinlich eindrücklichsten Erfahrungen, die ich jemals beim Improspielen gesammelt habe, war die eines Auftritts in Istanbul. Dazu möchte ich sagen, dass ich kein Wort Türkisch spreche. Ich hatte die freundliche Einladung von Koray Tarhan, doch mal vorbei zu kommen, wenn ich denn mal in Istanbul wäre. Als ich das vor einigen Jahren tat, dachte ich an einen einfachen Theaterbesuch bei Impro Istanbul. Als Zuschauer.

Doch als ich dort ankam, wurde ich sehr herzlich begrüßt und sehr herzlich mit hinter die Bühne genommen, damit wir darüber sprechen konnten, was wir an diesem Abend spielen würden. Vor ca. 150 türkischen Zuschauern. Im Nachhinein gibt es für mich nur eine Erklärung, warum ich mich darauf einlassen konnte – die Grundhaltung beim Improvisationstheater. Sie lautet: Lass die anderen gut aussehen! Make others shine!

Vom ersten Augenblick an merkte ich, dass dieses Ensemble mich gut aussehen lassen würde. Egal, was ich dort auf der Bühne verstehen würde oder nicht. Welche „Fehler“ ich dort machen würde. Dabei ist es wichtig zu wissen, dass in der Welt der theatralen Improvisation alles als ein Angebot betrachtet wird. Der Versprecher wird nur dann zu einem Versprecher, wenn der Mitspieler nicht sofort so tut, als hätte er das Richtige verstanden.

Jede Geste, jeder Klang, jedes Wort, jede Haltung, jede Position auf der Bühne, jede Geschwindigkeit im Auftreten und Reden ist ein Angebot. Alles kann als eine Idee, ein Impuls aufgegriffen werden, worum es in der Situation auf der Bühne, in der Szene geht. Everything´s an offer!

Damit einher geht ein ständiges Loslassen. Loslassen zum Beispiel von den eigenen Annahmen, worum es in der Szene geht. Ein Loslassen von der Idee, die man gerade einbringen wollte, bevor die Mitspielerin mit ihrem Impuls doch schneller war. Ein Loslassen von der Geschichte, die man im Kopf hat. Ein Loslassen von der Idee, wer man gerade ist. Sobald jemand auf der Bühne schneller ist, ein besseres Angebot bringt, das die Szene voran bringt, das mehr Sinn macht, gilt es die eigenen Annahmen und Ideen loszulassen. Fast furials of ideas.

Die Szene, von der man eben noch glaubte, dass sie auf einer Insel spielt, spielt doch plötzlich auf einer Weltraumstation, da jemand aus dem Ensemble so ein komisches Geräusch gemacht hat, das wie eine Luftschleuse klingt. Oder sollte das doch Meeresrauschen sein? Unklarheiten gilt es so schnell wie möglich zu beseitigen – mit Behauptungen. Schließlich können die Spielerinnen und Spieler auf der Bühne nicht ständig fragen: „Wie hast du das jetzt gemeint? Sind wir auf einer Insel oder auf einer Raumstation?“. Behaupten bedeutet in unklaren Situation, dass man erst einmal eine Setzung vornimmt, zu der sich alle anderen Verhalten können. Zum Beispiel, dass man im Zweifel eben einen Funkspruch an die Erde absendet – und damit Klarheit für die Szene schafft.

Prinzipien

Lass andere gut aussehen!; Alles ist ein Angebot!; Loslassen! und Behaupten!; sind bereits Haltungen und Prinzipien, bei denen offensichtlich sein sollte, warum sie für uns in der aktuellen Situation sehr, sehr hilfreich sein können.

Statt das Kloapier für sich zu horten, wäre es zum Beispiel eine schöne (sogar humorvolle!) Geste, bei sich im Hausflur auf jeder Etage eine Rolle Toilettenpapier auf dem Fensterbrett zu platzieren. Bei Freunden und Kolleginnen anrufen (am besten Videocall!) und fragen, wie es ihnen geht – auch damit lässt man andere Menschen gut aussehen – indem man sie eben gut sieht (je nach Anbieter und Bandbreite)! Aber die eigentliche Herausforderung wird erst noch kommen – wenn es darum geht, anderen Menschen auch wirtschaftlich zu helfen. Womöglich über den eigenen Familien- und Freundeskreis hinaus. Wie werden wir es da schaffen, andere gut aussehen zu lassen? Wer wird uns helfen, gut auszusehen? Wo werden wir aktiv werden müssen? Im Kleinen, wie im Großen?

Bei vielem, was momentan geschieht, fällt es auch schwer, die Angebote darin zu erkennen. Was soll für ein Angebot darin liegen, krank zu sein? Oder kranke Menschen im direkten Umfeld zu pflegen? Was für ein Angebot liegt im Homeschooling? Welche Angebote liegen bitteschön in den bald aufgebrauchten finanziellen Rücklagen oder den Jobs, die verloren wurden? Die Kunst besteht darin, eben genau von diesen Ereignissen den Blick abzuwenden und links und rechts davon zu schauen, was plötzlich zum Vorschein kommt. Welche Hilfsangebote gibt es, welche Freunde sprechen einem Trost zu und können einem auch andere Hilfen anbieten? Was war womöglich schon vorher prekär an meiner Art zu leben und zu arbeiten, wodurch ich keinen Puffer aufbauen konnte? Was gilt es jetzt gesellschaftlich, aber auch politisch einzufordern? Wo bleibe ich in meiner Kraft, wo bleibe ich selbstwirksam? Wo kann ich etwas bewirken? Die Angebote stecken nicht in den Dingen, die nicht mehr gehen, sondern in den Möglichkeiten, die sich aufzeigen. Natürlich fällt es nicht leicht, unter Stress und mit Existenzängsten lustig, kreativ und locker nach den Angeboten Ausschau zu halten, die da angeblich im Weltuntergang liegen sollen. Aber was ist die Alternative? Der Weltuntergang wurde uns schon vor ein paar Monaten vor Corona prognostiziert in Form von Fridays for Future und dem Klimawandel, in dem wir uns befinden. Nur damals war das alles in unseren Breitengerade sehr abstrakt und betraf nur die wenigsten persönlich. Jetzt wird der Umbau unserer Gesellschaft zu etwas Persönlichem. Ja, jetzt wird´s persönlich! Und ich behaupte mal, dass uns die Improvisation dabei helfen kann! 😉

Das große Loslassen

Jetzt kommt es auf das Zusammenspiel von allen an. Für eine verdammt grandiose Vernissage oder eine richtig abgefuckte Finissage der Menschheit. Es geht ums große Loslassen! Ja, wir würden alle so gerne zurück in unser altes Leben! Wieder unter den prekären Umständen arbeiten, unter denen wir vor Corona gearbeitet haben. Wieder in Ruhe den Jobs nachgehen, über die wir vor Corona so geflucht hatten. Wir würden gerne weiter über Transformation, Digitalisierung und den Klimawandel reden und dabei all das auf uns zukommen lassen. Doch das geht nicht mehr. Wir sind mittendrin und müssen, um in all dem die Angebote überhaupt erkennen zu können, loslassen.

Vieles vom Alten, über das wir uns immer aufgeregt haben, hat uns aber dennoch Halt gegeben. Routinen ermöglicht. Hoffnungen geben. Nun stehen wir vor einer leeren Bühne und trauen uns nicht ins Rampenlicht zu treten, weil wir nicht wissen, was wir spielen sollen? Die alten, vertrauten Rollen? Die alten, vertrauten Geschichten? Die alten, vertrauten Songs? Oder können wir Hier und Jetzt im Moment sein, dass was falsch war, Zug um Zug loslassen und uns auf neue Geschichten, neue Figuren einlassen?

In der Geschwindigkeit, in der die Dinge gerade geschehen, werden Fehler gemacht. Fehler, die nur als Fehler wahrgenommen werden, wenn wir deren Resultate nicht als Angebote annehmen und unser eigenes Ding draus machen. Gemeinsam mit den Menschen, die uns dabei gut aussehen lassen und denen wir ebenfalls helfen, gut auszusehen. Viele Menschen werden in ihren alten, sinngebenden Geschichten scheitern. Mental, sozial und wirtschaftlich. Sie werden loslassen müssen. Wir können ihnen helfen, neue Geschichten, neue Möglichkeiten, neuen Support zu finden. Und mit wir, meine ich uns alle.

The stage is ours. Lasst uns freiwillig loslassen, bevor zu viele dazu gezwungen sind, es zu müssen. Lasst uns die Angebote annehmen, die gerade in der Luft sind. Und lasst uns gemeinsam auf ihnen aufbauen. Lasst uns das machen, was wir im Improvisationstheater mit folgender Haltung in die Welt bringen – Say: YES, AND!

Die guten Clowns erkennen die Welt an, wie sie ist. Sie sehen die Tragödien, wie auch die Komödien. Sie akzeptieren sie. Sie lieben sie. Und lassen ihre gesamte Phantasie und Spielfreude auf sie los, um auch anderen Menschen dabei zu helfen, diese Welt sehen und annehmen zu können. Wenn sich jemand mit dem König, der Krone, der Corona angelegt hat, dann war es immer schon der Narr! Bring in the (good) clowns!

Dieser Beitrag erschien zuerst auf LinkedIn Pulse. Vielen Dank für das Teilen! Und hier gibt es „Warum Clowns? Teil 1: Böse Clowns“ nachzulesen.

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