»Warum Clowns? Teil 1: Böse Clowns«

  • 18.12.2019
  • von Martin Ciesielski
Über böse Clowns in Literatur und Politik, Hofnarren und ihre Wirkung auf Menschen ...
Jetzt spenden

 „An einem Clown im Mondschein ist nichts lustig.“ – Lon Chaney

Umgeben von Unwetterkatastrophen, Klima-Endzeitszenarien, Gewalt, Finanz- und Wirtschaftskrisen verbringen wir unsere Freizeit gerne mit Serien, Filmen und Computer-Games, die kaum mehr eine Flucht ermöglichen, sondern uns vermeintlich noch tiefer in diese Welten hineinführen. Letztlich umfasst eine zwanghafte Infantilisierung unserer Unterhaltungs- und Freizeitformate ihre eigene durchtriebene Form von Gewaltätigkeiten.

Von den amoralischen Tricksereien und Kämpfen bei Games of Thrones über das „Endgame“ der Superhelden im Kino und die Unterhaltungsformate im Fernsehen bis hin zum Überlebenskampf im Computerspiel Fortnite: Das große Finale der Menschheit scheint eingeläutet worden zu sein. Mittendrin eine Figur, von der man es womöglich noch vor ein paar Jahren nicht vermutet hätte: Der Clown.

Wenn in den Zeiten in denen wir leben, selbst unser Entertainment gewaltvoller und unheimlicher geworden ist, dann kann es wohl kaum etwas Sinnbildlicheres für diese Umstände geben, als die Figur des bösen Clowns!

Ob der Joker-Film oder die Neuverfilmung von Stephen Kings „Es“ mit dem Clown Pennywise bis hin zu den ikonischen Darstellungen von Trump und Johnson als hintertriebene Polit-Clowns – allerorten zeigt sich der eigentlich doch so lustige und kinderfreundliche Spaßmacher von seiner dunklen Seite.

Wie konnte es dazu kommen? Wofür genau steht diese Figur? Was können wir durch sie über die Zeiten, in denen wir leben, erfahren?

Sündenböcke und neue Leader

Bei drastischen, tiefgreifenden gesellschaftlichen Veränderungen war es für die Bevölkerung immer schon wichtig, sich auch auf die Suche nach einem gesellschaftlichen Sündenbock zu begeben. Man kennt dieses Muster von den Seuchen des Mittelalters, als die Angst vor dem Weltuntergang in eine Hexenjagd umschlug. Oder die Köpfe der Könige, die rollen mussten. Egal ob man den oder die Schuldigen über sich oder unter sich fand: wichtig war, dass man jemanden fand!

Allerdings können diese Suchbewegungen auch dazu führen, dass jene Charaktere, die sinnbildlich für die Zeitenwende sind, auch auf andere Art und Weise ins Zentrum der gesellschaftlichen Wahrnehmung rücken und sichtbarer werden. In ihrer extremsten Form werden sie zu den neuen Anführern.

Im Falle der „Bösen Clowns“, wie wir sie heute erleben, gab es schon immer historische Vorreiter. Von den gottähnlichen Trickstern, die zwischen der Welt der Menschen und der der Götter beliebig wechseln und sich verwandeln konnten. Sie spielten böse Streiche, verführten Männer wie Frauen und sorgten durch ihr Handeln stets auch für kulturelle Umbrüche, Veränderungen und Erneuerungen – so wie es Lewis Hyde in seinem Klassiker „Trickster makes this world“ beschreibt.

Diese frühen, mythischen Schelme wandelten sich in die Narrenfiguren, wie sie in nahezu allen Kulturen zu finden sind. In unserem Kulturkreis dürften Till Eulenspiegel, der Simplicissimus oder die Schildbürgerstreiche am bekanntesten sein. Schon diese Narren und frühen Clowns waren nicht nur unterhaltsam und verträumt, sondern durchaus in ihrem Wesen schadenfroh und gemein.

Allerdings dürfte wohl jeder zustimmen, wenn ich behaupte, dass es einen nicht unerheblichen Unterschied macht, ob man jemand einen Streich spielt oder gleich umbringt. Die aktuellen Versionen der bösen Spaßmacher sind da auf die eine oder andere Art und Weise eben um genau diesen einen Schritt weiter.

Psycho-Clowns

„Hinter jedem gemalten Lächeln befindet sich eine Quelle der Einsamkeit und persönlichen Leids.“ – Mark Dery

In den 1970er Jahren beging der Amerikaner John Wayne Gacy 33 Morde. Darunter Kinder und Jugendliche. Seinen Opfern hatte er sich zumeist als Clown Pogo genährt oder die nähere Umgebung ausgekundschaftet. Sein Vorgehen erklärte er während seiner Gerichtsverhandlung unter anderem so: „Man kann sich als Clown allerlei erlauben, weil einen die Leute für lustig halten. Sie wissen nicht, was hinter der Theaterschminke steckt.“

Seine berühmteste Aussage lautete allerdings: „Ein Clown kann sogar mit einem Mord ungestraft davon kommen.“ – was letztendlich nicht stimmte. Nach 14 Jahren in der Todeszelle wurde er 1994 hingerichtet.

Allerdings klingt seine Äußerung der einer anderen Person sehr ähnlich, die momentan der 45. Präsident der Vereinigten Staaten ist. Donald Trump sagte während seines Wahlkampfes: „Ich könnte jemanden mitten auf der 5th Avenue in New York erschießen und die Leute würden mich trotzdem wählen“. Was er bislang persönlich noch nicht getan tat. Allerdings dürfte jedem klar sein, dass durch gezieltes, militärisches oder geheimdienstliches Vorgehen der USA weiterhin Menschen sterben. Nun unter der Führung eines vermeintlichen Polit-Clowns.

Es lässt sich also festhalten, dass sich das ohnehin in der Figur des Clowns angelegte Schadenfrohe, weiter zugespitzt hat. Ähnliches ist aber auch zu sehen, wenn man sich aktuelle Fernsehformate oder die beliebtesten YouTube Kanäle anschaut, bei denen es nur so wimmelt vor Schadenfreude, Fremdschämen oder das Abwerten von anderen Menschen. Trump scheint in seinem Verhalten lediglich die Spitze des Eisberges zu sein.

Im aktuellen Kinofilm „Joker“, wo die Geschichte des Erzfeindes von Batman erzählt wird, sind ähnliche Mechanismen und Gefühlsebenen sehr präsent. Der Komiker Arthur Fleck, der versucht, als Standup Comedian Karriere zu machen, scheitert nicht nur mit seinen Träumen, sondern erfährt auch eine mediale, öffentliche Erniedrigung. Die Figur des Clowns, die ohnehin zumeist an den Widrigkeiten des Lebens scheitert, bringt uns mit ihrem Scheitern nicht mehr zum Lachen oder weckt Mitleid in uns – sondern weckt in uns anscheinend den Wunsch, auch noch nachzutreten. Am Ende des Films dreht Fleck als der Joker den Spieß um, tötet die Menschen, die ihm am brutalsten mitgespielt haben und beginnt seinen Rachefeldzug.

Wenn man sich die vom Journalisten Sidney Blumenthal verfasste Familiengeschichte der Trumps durchliest, kommt man nicht umhin, ähnliche Momente im Leben von Trump zu finden. Immer wieder scheint er von der New Yorker Geld- und Intellektuellen-Elite als einer der ihren abgelehnt worden zu sein. Trotz seines bzw. des Geldes seines Vaters.

Vielleicht sind es diese Parallelen zwischen dem Serienkiller-Clown Gacy, dem Joker und Trump, die uns die ersten Anhaltspunkte geben können, warum es die bösen Clowns sind, die uns gerade aus all den Magazincovern entgegenblicken, uns womöglich spiegeln, so wie es auch Pennywise, der Clown in „Es“ tut. Beim Anblick der bösen Clowns scheinen wir in unsere eigenen Abgründe zu schauen. Während diese zurückgrinsen.

Lustige Verlierer

„Wir sind nicht glücklich und traurig. Wir sind glücklich und gewalttätig.“ – Stephen King

Vielleicht erscheinen wir uns selbst auch lächerlich, in unserem Unterfangen, weiterhin in diesem Spiel mitzuspielen, das sich anscheinend seinem Ende zuneigt. Gefangen in den weiterhin bestehenden Spielregeln der für die meisten Menschen geltenden Lohnarbeit, schaffen wir es immer weniger, all den Ansprüchen, die an uns gestellt werden, gerecht zu werden.

Erfolgreiche, gut bezahlte Arbeit. Eine erfüllende Beziehung. Gesunde, kluge Kinder und der erfolgreiche Wohnungskauf oder Hausbau. Am Freitag auf der Klima-Demo und den Rest der Woche ökologisch und sozial korrekt leben. Darüber hinaus haben wir bei all dem zufrieden, glücklich und achtsam (clownesk?) zu lächeln. Dabei sehen wir, wie all diese Erfolgskriterien und die dazugehörigen Spielregeln von allen Seiten unter Druck geraten, während wir weiterhin versuchen, ihnen gerecht zu werden.

Ähneln wir in diesen Handlungen nicht durchaus dem Clown, der auf der Banane ausrutscht, hinfällt und schon beim Aufstehen wieder auf ein und derselben Banane ausrutscht? Von außen betrachtet wäre es womöglich zum Brüllen komisch, doch statt über uns selbst zu lachen, lachen wir über die anderen Clowns, die es nicht schaffen, hochzukommen. Wir schauen uns die Jury-Shows an, wo knallhart ausgewählt wird und lachen über die Videos, in denen reihenweise Menschen mit dem Hinterkopf auf Tischkanten knallen.

Doch bei aller Härte und fehlendem Mitleid, ist es womöglich auch noch etwas anderes, was uns dabei erfreut: Sie überleben es! Sie haben anscheinend dem Tod ein Schnippchen geschlagen!

So war es auch schon immer bei den Trickstern, Narren und Clowns: Sie waren stets auch dem Tode nah – sei es durch ihre tollkühnen Streiche oder durch ihre totenkopf-weiß geschminkten Gesichter. Ein Weißclown ist einfach nur eine Totenmaske mit einem Sinn für Humor. Was könnte entlastender sein, als mit dem Tod gemeinsam über die Sterblichkeit zu lachen?

Ein auf seinen Hintern fallender Agent des Chaos kann eine Möglichkeit sein, um jene stürmischen Mächte zu besänftigen, die unsere Welt aus den Angeln heben – vor allem, wenn er unsterblich zu sein scheint.

Der Triumph des Narren über den Tod (Wie oft war Trump schon totgesagt?!), ein Triumpf, der in der Wiederauferstehung des Zirkusclowns nachgespielt wird, der wieder zum Leben erwacht, nachdem man ihn mit einem Hammer umgehauen hatte, verleiht ihm einen übernatürlichen Rang, nicht unähnlich dem des Todes.

Womöglich befinden wir uns bei alle dem in einem sehr finsteren Karneval (David J. Skal):

In zunehmenden Maße wird der Psychoclown nicht mehr als Gegenstand unserer Furcht und Verachtung verortet, sondern als das verrückt-lustige Maskottchen unserer Chaoskultur mit ihren unberechenbaren Taten sinnloser Gewalt, ihren den Sensationsjournalismus mit Nachschub versorgenden Rasereien, ihren wahnsinnigen Bombenattentätern, Entlassungen, Ausbeutungen und Klimakatastrophen – bei denen es doch immer auch einige Überlebende gibt. Was für diese heute gilt, gilt hoffentlich auch morgen für uns.

Sind wir nicht alle Narren?

In vielen elisabethanischen und jakobinischen Theaterstücken gibt es eine Ähnlichkeit zwischen dem Narren als Spaßvogel und der Figur des Rächers, der sich über die Mächtigen lustig macht. Diese Ähnlichkeiten sind es, die Politiker wie Orban, Trump oder jene der AfD als die Rächer auftreten lassen, während andere sie eher als gefährliche Clowns wahrnehmen.

Hinzu kommt die Analogie von Clown und Freak, die ihrerseits auf den historischen Ursprung des Clowns im Hofnarren zurückgeht, wo es jene Buckligen, Zwerge und Krüppel (oder die mit den ach so komischen Frisuren) waren, die als Spaßmacher an den Hof geholt wurden. Spätestens hier stellt sich aber die Frage, für wen die aktuellen, politischen Horror-Clowns die Hofnarren sind. Für die eigentlich Herrschenden? Die Finanzmärkte? Die Millionäre und Milliardäre?

Doch was ist dann mit Menschen wie Trump, die beides in sich zu vereinen scheinen? Sind die Könige ihre eigenen Narren, ihre eigenen Witzfiguren geworden? Oder sind die Narren die neuen Könige? Gibt es womöglich gar keine Herrscherinnen und Herrscher mehr?

Durch ihre zwiespältigen Charaktere rufen diese Clown-Figuren Bewunderung und Verachtung hervor, die ihnen aufgrund ihres Status als Nichtmenschen oder Freaks zukommen. Dabei ruft der Clown durch seine augenscheinlich herablassende Haltung eben jene Feindseligkeit hervor, die ihm dann auch mit aller Wucht entgegenschlägt. Durch sein weißes Antlitz in einen Spiegel verwandelt, der die menschlichen Torheiten reflektiert, scheint er die Conditio humana von oben herab zu beobachten, so wie Shakespeares Puck, der ironisch darüber nachdenkt, „was für Narren diese Menschen sind“.

Sind es also am Ende wir selbst, die wir dort als böse Clowns stehen sehen? Lächerlich und gefährlich zugleich? Eine Menschheit, die sich als Krone der Schöpfung sieht und gleichzeitig an ihren eigenen Ansprüchen auf fast schon lächerliche Art und Weise scheitert?

Vielleicht ist die Figur aber auch nur einer von vielen Archetypen der Menschheit. Ein extrem ambivalenter, mehrdeutiger, gefährlicher und lustiger Archetyp, der uns dazu bringt, mit dieser Ambivalenz in uns selbst leben zu lernen. Und diese Kräfte gleichzeitig auch in anderen Menschen zu sehen und zuzulassen. Aber auch zu lernen, ihnen Grenzen zu setzen. Grenzen, worüber wir uns lustig machen und Grenzen dahingehend, was wir an Gewalt durchgehen lassen. Gewalt, die wir uns selbst, anderen Menschen und anderen Lebewesen antun.

An einer Stelle sagt ein Psychotherapeut in der Graphic Novel „Arkham Asylum“ über den Joker: „Wir sind uns nicht einmal sicher, ob man ihn wirklich als geisteskrank bezeichnen kann. […] Es kann durchaus sein, dass wir es hier mit einer Art Über-Gesundheit zu tun haben. Einer brillanten neuen Variante der menschlichen Wahrnehmung, die besser zum städtischen Leben am Ende des 20. Jahrhunderts passt. Im Gegensatz zu Ihnen und mir scheint der Joker keine Kontrolle über die Sinnesinformationen zu haben, die er von der Außenwelt erhält. Er kann mit dem chaotischen Schwall an Informationen nur zu Rande kommen, indem er mit dem Strom schwimmt. Deshalb ist er an manchen Tagen ein boshafter Clown und an anderen ein psychopatischer Mörder. Er hat keine echte Persönlichkeit.“

Die Frage ist, was am Ende dieser Auflösung von Persönlichkeiten steht. Der boshafte Clown, der psychopatische Mörder, der Narr und Trickster scheinen den Anfang einer Reise zu markieren. Vielleicht zurück in die Vergangenheit. Womöglich aber auch in eine neue, noch unbekannte Zukunft des Menschseins.

Im zweiten Teil werde ich mich mit den „Guten Clowns“ oder zumindest mit den guten Seiten der bösen Clowns beschäftigen und schauen, was in diesem Archetyp steckt, was uns zukünftig noch von großer Hilfe sein könnte.

Dieser Beitrag erschien zuerst auf LinkedIn Pulse, vielen Dank für das Teilen!

Wie hat dir der Artikel gefallen?

Newsletter

  • Mit dem Abonnieren unseres Newsletters erkennst du unsere Datenschutzerklärung an.