»Über die Intelligenz unseres Körpers«

  • 31.10.2018
  • von Bianca Bischof
Ein Interview über Körperintelligenz und Somatik mit Eva Bakardjiev ...
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Unserer Arbeitswelt ist bestimmt von Schnelllebigkeit und Veränderung. Immer mehr Menschen stoßen dabei an ihre Grenzen, sind ausgebrannt und sträuben sich gegen den Wandel im Unternehmen. Angst vor Veränderung spielt dabei eine große Rolle. Eva Bakardjiev ist somatischer Coach in Berlin und beschäftigt sich mit intuitiven Prozessen und Körperintelligenz und wie wir diese als Ressource für Transformation nutzen können. Wir haben sie genau dazu interviewt.

Eva, erklär‘ uns doch kurz was Somatisches Coaching ist. Und wie es Unternehmen darin unterstützen kann, diese rasante Zeit des Wandels gut zu bewältigen.

Somatik ist eine seit den 1970ern definierte ganzheitliche Transformationstheorie und lebendiges Forschungsfeld, bei dem der erfahrbaren Körper im Zentrum steht. Es versteht uns Menschen als integriertes Ganzes aus Geist-Körper-Seele, eingebettet in den sozialen Kontext und unsere Umwelt.

Als somatischer Coach begleite ich Einzelpersonen und Organisationen wieder in Kontakt mit ihrer Körperintelligenz zu kommen. Diese Ressource unterstützt Menschen darin ihre eigenen Lösungen und Praktiken zu entwickeln, um Veränderungen besser annehmen zu können und sie aktiv mitzugestalten. Sie lernen autonom, selbst ermächtigt und empathisch mit sich und den umgebenden Kontexten in Beziehung zu sein.

Wir handeln alle aus eingeübten Denk- und Verhaltensmustern heraus. Oft sind diese einfach nicht mehr zeitgemäß und hindern uns daran, agil zu sein. Unsere Muster müssen sich also in Anpassung an unsere Werte auch verändern. Somatisches Coaching begleitet diese “Umprogrammierung“. Sie findet im Körper und durch den Körper statt, denn alles was wir sind, tun, denken, fühlen hat immer auch einen körperlichen und spürbaren Ausdruck.

Als somatischer Coach hilfst du Menschen dabei mehr ins Fühlen und damit in den Körper zu kommen. Warum ist dir das so wichtig?

Unser spürender und spürbarer Körper ist eine unglaubliche Ressource für Transformation, Gesundheit, Heilung und Ermächtigung auf individueller und kollektiver Ebene. Die meisten von uns haben allerdings den Kontakt dazu verlernt. Statt auf unseren Körper zu hören, übergehen wir regelmäßig Signale, wie Kopfschmerzen, Verspannungen, Sodbrennen, Magenkrämpfe oder andere Beschwerden. Wie haben gelernt unsere körperlichen Empfindungen zu ignorieren, statt sie ernst zu nehmen. Die fälschliche Annahme, dass wir ständig leisten, pushen, durchhalten müssen, hat sich automatisiert und ist zum unhinterfragten Handlungsmuster geworden. Sich auszuruhen, zu bewegen und den Körper zu spüren, wird als lästig empfunden. Ja manchmal ist sogar eine Pinkelpause einfach nicht mehr drinnen. Die körperlichen Empfindungen verschwinden jedoch nicht so einfach. Sie werden lauter, um gehört zu werden. Sie teilen uns mit, dass der Körper in Vergessenheit geraten ist und damit der Kontakt zu uns selbst und unseren Bedürfnissen. Kopfschmerzen wachsen zu Migräne, leichte untere Rückenschmerzen strahlen bis ins Bein aus, die Erschöpfung wird zum Burnout.

Dabei kostet es uns Energie, Symptome zu betäuben. Energie, die der Körper zum heilen braucht und mit der wir eigentlich nachhaltig und gut Arbeiten könnten. Zudem können wir nicht selektiv unsere Empfindungen und Gefühle ausblenden. Wenn wir Müdigkeit, Schmerzen oder auch negative Emotionen betäuben, verschwinden auch Freude, Motivation, Neugierde, Leichtigkeit und Wohlbefinden im Laufe der Zeit.

Durch somatisches Coaching bringe ich meinen Klient*innen bei, den Signalen ihres Körpers wieder zuzuhören und sie zu nutzen, um mit sich und den eigenen Bedürfnissen und Gefühlen besser in Kontakt zu sein. Durch den Körper werden jene Verhaltensweisen aufgedeckt, die zu den Symptomen geführt haben. Daraus entwickeln wir neue Handlungsoptionen, die die Symptome verbessern und nachhaltig eine gesunde und erfüllte Lebens- und Arbeitsweise ermöglichen.

Es ist für uns immer noch normal, ausschließlich mit dem Kopf zu denken. Nur wenige haben gelernt, den Körper als ganzes System zu nutzen. Obwohl dieser uns eine unendliche Bandbreite an Wahrnehmungsmöglichkeiten bietet. Was zeichnet für dich den Körper als ebenbürtiges Entscheidungstool aus? Und was würdest du Menschen empfehlen, um einen guten Einstieg zu finden, den Körper als integriertes System zu nutzen?

In der westlichen Gesellschaft sind wir geprägt von einer Trennung und Hierarchie zwischen Geist und Körper. Unsere Programmierung läuft zumeist noch auf “Ich denke, also bin ich”. Das ist eine sehr eingeschränkte ‘top-down’ Funktionsweise. Im Deutschen war vor der Aufklärung der Begriff “Leib” gängiger. Durch die Phänomenologie wieder aufgegriffen, fasst es die Einheit aus lebendigem Körper und Bewusstsein. Diese Kooperation möchte ich durch meine Arbeit auch für Entscheidungsfindungen stärken. Es geht nicht darum, den Kopf komplett auszuschalten und nur auf das “Bauchgefühl” zu hören, sondern die intime Kollaboration zwischen den beiden wieder herzustellen. Als wesentlichen Arbeitsschritt muss die Körperwahrnehmung gestärkt werden, damit sie überhaupt wieder neben dem lautstarken Geist hörbar wird. Dann kann es zur Integration von Körper und Geist kommen und die beiden kollaborieren auf Augenhöhe.

Als Einstieg empfehle ich somatische Bewegungspraxen, wie z.B. Yoga, Aikido, Continuum Movement, Body-Mind-Centering. Wichtig dabei ist, die Intention der Selbstwahrnehmung und nicht Fitness oder körperliche Optimierung (die kommen oft als feiner Nebeneffekt dazu). In meinen Workshops kombiniere ich eine Vielfalt an somatischen Methoden, die ich in den letzten 13 Jahren in meine eigene Praxis integriert habe. Und in meinen 1zu1 Coachings begleite ich Menschen bei der Rückverbindung zum Körper ganz individuell.

Wir sehen immer wieder, dass der Wandel in Unternehmen durch die Angst vor Veränderungen  blockiert wird. Der Körper ist hierbei sicher ein gutes Werkzeug, um mit dieser Angst besser umzugehen. Welche Bedürfnisse stecken für dich hinter dieser Angst? Und was wäre deine klare Empfehlung, um damit einen guten Umgang zu finden? Was können Unternehmen aktiv dazu beitragen, diese Angst zu transformieren? Und wie?

Angst ist immer da, wenn etwas Neues geschieht – dementsprechend ist Angst ein ständiger Begleiter, denn Leben ist Wandel. Die relevante Frage ist, welchen Umgang finden wir damit? Auf kognitiver Ebene können wir analysieren, wovor wir Angst haben und Strategien entwickeln, die uns unterstützen mit dieser umzugehen. Zum Beispiel können wir die Dinge mal zu Ende denken: Was wäre das Schlimmste, das passieren könnte? Und daraufhin fünf Wege entwickeln, wie wir damit umgehen könnten. Und uns auch mal bewusst machen, was schlussendlich passieren würde, wenn wir aus Angst nichts tun. Für mich gilt, Angst zu haben und mit klarem Verstand und wachem Herz dennoch zu handeln.

Gleichzeitig muss die Angst auch gefühlt werden dürfen. Sie ist eine Information, die das Nervensystem wach macht. Wir können sie als Energie beschreiben, die unserem System erlaubt, schnell auf Gefahren oder Veränderungen zu reagieren. Dieses Fühlen und Verarbeiten findet im Körper statt.

In unserer Kultur haben wir Angst vor der Angst entwickelt, oder eine Sei-stark-habe-keine-Angst-Mentalität. Statt dessen ist Angst ein ganz essentielles Gefühl und Zeichen – es macht uns wach und weist auf Bedürfnisse hin. Besonders das Bedürfnis nach Sicherheit oder auch Signifikanz. Die Frage ist, wie können wir für diese Bedürfnisse Sorge tragen und gleichzeitig offen für Veränderung sein?

Der spürende Körper erlaubt eine erfahrungsbasierte Antwort. Wenn es uns gelingt, mit der Empfindung und unserem Körper eins zu sein, gibt uns das Selbstsicherheit und erdet uns. Wir können dann die Angstenergie nutzen, um gute Entscheidungen für uns und unsere Umwelt zu treffen. Und nicht aus der Angst heraus in den Verteidigungsmodus zu wechseln oder die Angst durch Vermeidung und Handlungsstarre kontrollieren zu wollen.

Du setzt dich mit deiner Arbeit präventiv für die Gesundheit von Menschen in einer technologisierten Welt ein. Was bedeutet „gutes neues Arbeiten“ für dich? Wo siehst du die Zukunft der Arbeit?

“Gute neue Arbeit” bedeutet für mich die Bewusstmachung und aktive Gestaltung des “Warum” und “Wie” wir arbeiten wollen. Für die meisten Menschen ist Arbeit mittlerweile wesentlich mehr als nur Geld zu verdienen. Das heißt notwendigerweise, dass Arbeit auch die Beziehung zum Selbst, zu anderen Individuen und unserer Umwelt rahmen muss. Ich finde es spannend, Arbeit als Weg zu begreifen, sich als Mensch ganzheitlich zu entfalten. Das bedeutet auch, dass sich der Wert der Arbeit am Menschen selbst, z.B. in der Sozial-, Pflege- oder Bildungsarbeit steigern wird. Außerdem werden wir die ausgedienten Definitionen – was Arbeit früher war –  vor dem Hintergrund unserer Werte neu überdenken müssen. Arbeit muss nicht mehr hart sein oder zur Qual werden. Arbeit DARF sich geil anfühlen und je mehr wir mit unserem “purpose” und gesunden Handlungsweisen verbunden sind, desto weniger groß wird die Trennung von Freizeit und Arbeit. In diesem Sinne ist für mich „gutes neues Arbeiten“ dazu da, “to make a rich life, not just a living”.

Wessen Interesse jetzt geweckt wurde: Am 8.12. gibt es bei unserem nächsten Good Enfants Terribles-Tag ein super Einstiegsformat für somatisches Coaching und wie es in Unternehmen genutzt werden kann. Neurowissenschaftler*in Dr. Francesca Mega und Eva Bakardjiev gestalten zusammen eine Session zum Thema „Intuitives Entscheiden“. 

Den Anmeldungslink für das Event findet ihr hier.

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