»Tiefer Austausch«

  • 31.10.2018
  • von Lutz Hempel
Eine fortschrittliche Kommunikationsmethode für besseres Arbeiten ...
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Eine erstaunliche Möglichkeit, Ruhe und Stille und die darin liegenden Kräfte für bessere Zusammenarbeit und Führung nutzbar zu machen, kann der sogenannte tiefe Austausch sein.

Diese fortschrittliche und wirkungsvolle Kommunikationsmethode eignet sich zum Klarwerden, Verbindung herstellen und besseren Entscheiden sogar und gerade inmitten großer Geschäftigkeit und Anstrengung. Dazu ein beeindruckendes Beispiel, entnommen aus dem Buch „Mindful Leadership“ von Janice Marturano:

Als bei einem großen Lebensmittelhersteller der Verdacht auf Kontamination einer wichtigen Produktlinie aufkommt, trotz genauer Prüfung sich aber keine eindeutigen Daten oder Beweise zeigen, ziehen sich die drei Verantwortlichen des Rückruf-Teams unter immensem (Zeit-)Druck zur Besprechung zurück. Es geht um potentielle Rückrufkosten in Millionenhöhe und einen erheblichen Imageschaden einerseits, um möglich Krankheitsfälle in einem Liefergebiet andererseits. Anstatt sich in einer hitzigen Diskussion über ihre unterschiedlichen Standpunkte zu verstricken, verständigen sich die drei über eine ruhige Vorgehensweise: Monolog (aller drei) – tiefes Zuhören – Pause zur individuellen Reflexion – nochmaliger Austausch und Entscheidung. War nach der ersten Austauschrunde noch kein Konsens möglich, gelingt dieser klar und stark in der zweiten. Die Empfehlung an den CEO lautet Rückruf. Aufgrund der Klarheit und Stärke des Konsenses ist diesem die schwere Entscheidung möglich.

Marturano kommentiert dazu: „Das Team traf diese Wahl in dem Wissen darüber, wann es wichtig ist, dem [eigenen] Geist zu erlauben, sich zu beruhigen, damit der beste Weg sich zeigen kann.“ Und weiter: „Die Mindful-Leadership-Praxis hatte [die drei] gelehrt, den starken Drang, zu reagieren, ebenso zu erkennen wie die Tendenz des Geistes, unter Stress den Fokus zu verengen. Auch wussten sie um die Dynamik schwieriger Gespräche, die manchmal durch Einigung auf den kleinsten gemeinsamen Nenner statt durch wirklich angemessene Entscheidungen aufgelöst werden […].“

Tiefer Austausch erfordert Übung, individuell und gemeinsam, beginnt seine Wirkung aber bereits beim ersten Mal zu entfalten, was das Üben angenehm macht. Ich durfte das sehr eindrücklich erleben, als ich vor einigen Jahren zum ersten Mal an einem Treffen einer Regionalgruppe des Netzwerk Achtsame Wirtschaft teilnahm – in diesem sehr empfehlenswerten Netzwerk wird außerhalb des Arbeits- (und Lebens-)Alltags in Gemeinschaft geübt, um im Alltag achtsamer, angemessener und zufriedener agieren und sein zu können. Ich war ganz beglückt von der Ruhe, Besonnenheit und Wertschätzung, die für mich vom ersten Atemzug der Übung an spürbar war. Welch wohltuende Atmosphäre! Und welche ungeahnt reichhaltigen Erkenntnisse sich für mich aus der Übung ergaben!

Beim tiefen Austausch besteht der erste Schritt darin, sich auf ein relevantes Thema, eine Aufgabe oder eine Frage zu verständigen und einen Leiter/eine Leiterin, Zeitrahmen und Sprechzeichen festzulegen.

Dann wird es spannend! Denn jetzt, beim zweiten Schritt, beginnt zu sprechen, wer immer dazu bereit ist (die anderen hören einfach nur zu). Der Wunsch zu sprechen wird mit dem vereinbarten Sprechzeichen markiert (was auch eine jeden Redebeitrag abschließen sollte); wenn mehrere gleichzeitig ihr Zeichen geben, einigt man sich ebenfalls nonverbal – bei einer wohlwollenden, das Gemeinsame ins Auge nehmenden Haltung ist das kein Problem. Bis die oder der erste spricht, kann es eine Weile dauern. Ebenso kann es im weiteren Verlauf immer wieder längere bzw. länger wirkende Sprechpausen geben. Diese zuzulassen ist sehr wichtig für die Tiefe des Austauschs und damit auch für die Tiefe der Erkenntnisse daraus. „Das Wesentliche macht keinen Lärm. Es stellt sich ein im Leisen, in der Stille, nicht im Lauten“ schreibt Irmtraud Tarr so passend dazu in „Resonanz als Kraftquelle“.

Und wie ist es mit dem Sprechen? Und dem Zuhören?

Beim Sprechen ist es wichtig, das für sich Wesentliche zu erspüren und mitzuteilen und ein gutes Maß dafür zu finden. Jeder spricht für sich (daher „Monolog“ im obigen Beispiel). Das von den anderen Gehörte darf anregen (und wir es von ganz allein), man darf auch Bezug dazu nehmen, es wird aber nicht kommentiert oder kritisiert. Dadurch entsteht und bleibt der Raum zur Äußerung und Entfaltung, der zum Vertrauensraum erwächst.

Beim Zuhören ist es wichtig, möglichst präsent und dem/der jeweils Sprechenden zugewandt zu sein. Bewusstes Atmen hilft dabei sehr, übrigens auch beim Sprechen. Geradezu verblüffend ist die Erfahrung, den inneren Parallelvortrag und die gedankliche Vorbereitung des nächsten eigenen Redebeitrags loslassen zu können, weil es diese im Modus des tiefen Austauschs gar nicht braucht.

Probiert es aus, es lohnt sich sehr!

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