»Selbstorganisation, Superstrukturen und wer haftet?«

  • 18.09.2019
  • von Konrad Bechler
Das ist Teil 2 unserer juristischen Betrachtung von New Work – von Konrad Bechler für uns geschrieben ...
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Nachdem Konrad im ersten Teil über Formen von Selbstorganisation in unserem Rechtssystem schrieb, stellt er hier nun die Frage: Wer haftet? 

1. Selbstorganisation und Haftung der Unternehmensleitung

Die Frage, ob und wann Geschäftsführer und Vorstände von Gesellschaften für Schäden haften, treibt selbstorganisierte Unternehmen um, da die Forderungen nach selbstbestimmter Arbeit und dezentraler Willensbildung die Einflussmöglichkeiten der bei Kapitalgesellschaften rechtlich zwingend vorgeschriebenen Leitungs- und Vertretungspersonen verringern.

Denn das Zielbild bei selbstorganisierten Unternehmen ist, dass die einzelnen Mitglieder nicht nur Spezialkompetenzen zur Bewältigung ihrer Arbeit haben, sondern auch insofern Generalisten sind, als sie ein erweitertes Verständnis für Finanzen, Geschäftsmodelle, Kunden und Konfliktmanagement haben und dementsprechend selbsttätig am Markt agieren und mit den Kollegen zusammenarbeiten.

Mit dem klassischen hierarchischen Organisationsverständnis betrachtet, agieren die Mitarbeiter an der Unternehmensleitung vorbei und dies schmälert den Einfluss der Unternehmensleitung auf die Entscheidungen und Haftungsrisiken. Die Sorge ist somit durchaus verständlich.

Wenn Akquise, Konzeption und Abarbeitung von Projekten, die Einstellung von Mitarbeitern und die selbständige Anschaffung von notwendigen Betriebsmitteln den Mitarbeitern überlassen ist, bleibt wenig, was noch durch die Unternehmensleitung zu entscheiden ist und bedarf daher ein hohes Maß an Vertrauen, dass die für die Unternehmensleitung fremden Entscheidungen auch keinen Schaden für das Unternehmen nach sich ziehen.

2. Koordination von Selbstorganisation

Spätestens ab einer Größe von über 15 Personen in einer Organisation stellt sich aber die Frage, welche Koordinierungsmechanismen ein Unternehmen für sich wählt, um noch produktiv am Markt tätig zu sein und nicht aufgrund von zeitaufwändiger, multilateraler Abstimmung in seinem produktiven Fortkommen gehindert zu sein.

An dieser Stelle werden Strategien notwendig, die dafür sorgen, dass die Komplexität innerhalb der Organisation geringer bleibt als in der Umwelt selbst, ohne die Anschlussfähigkeit an die Umwelt zu verlieren.

Henry Mintzberg (*2. September 1939, kanadischer Professor für Betriebswirtschaftslehre und Management) beschreibt in seinem Buch „Structure in Fives: Designing Effective Organizations“ sechs Koordinationsmechanismen für Organisationen. Während die direkte Aufsicht, die Standardisierung von Arbeitsprozessen und die Standardisierung von Arbeitsergebnissen für selbstorganisierte Unternehmen eher untypisch sind, ist die gegenseitige Anpassung, sowie die Standardisierung von Fähigkeiten und die Standardisierung von Normen ein gutes Mittel, um eine nötige Kohärenz innerhalb der Organisation zu gewährleisten.

Die Fähigkeit von Einzelpersonen, sich situationsadäquat gegenseitig anzupassen, ist bei beschränkter Personenzahl eine große Stärke von selbstorganisierten Unternehmen.

Bei der Standardisierung von Normen koordinieren sich die Kollegen, indem sie geteilten Glaubenssätzen folgen. Die so genannten purposegetriebenen Unternehmen zeigen, wie durch einen gemeinsamen Leitstern und gemeinsam geteilte Werte eine größere Homogenität im Unternehmen gewährleistet werden kann. Soweit sich eine Person nicht mit dem gemeinsamen Werten und Zielen identifizieren kann, ist sie in dieser Organisation wohl nicht richtig aufgehoben.

Die Standardisierung von Fähigkeiten zielt in selbstorganisierten Unternehmen vor allem auf die gerade genannten generalistischen Kompetenzen in Bezug auf Finanzstrategie, Akquise und Konfliktmanagement ab.

Entscheidungen brauchen ein Verständnis der Rahmenbedingungen. Insofern sind wirtschaftliche Informationen des Unternehmens und deren Verständnis im ganzen Unternehmen notwendig. Auch sind die meisten Konflikte in Unternehmen auf einen schlechten Rollenzuschnitt und gescheiterte Kommunikation zurückzuführen. Daher sind Kompetenzen zum Meistern solcher Probleme für gute Zusammenarbeit essentiell.

3. Superstruktur

Jenseits dessen müssen aber selbstorganisierte Unternehmen nach meinem Dafürhalten ab einer bestimmten Größe zusätzlich eine – wie Mintzberg sagt – Superstruktur entwickeln und vor allem betreiben, um dem Zerfallen hin zur Umwelt entgegenzuwirken. Das kann mittels eines soziokratischen Systems (Endenburg, Elektrotechnikunternehmen), mittels grundsätzlicher Regeln zur Entscheidungslenkung und zur Eröffnung eines neuen Betriebs ab einer bestimmten Personengröße (W. L. Gore, Kunststoffverarbeitendes Unternehmen, bekannt für Gore-Text) oder durch regelmäßige Schulungen der einzelnen Mitarbeiterzellen in generalistischen Kompetenzen (Buurtzog) geschehen.

An dieser Stelle wird aus meiner Sicht offenbar, dass auch Selbstorganisation einen relativ festen organisatorischen Rahmen braucht, um dauerhaft zu existieren. Dieser muss dann durch einzelne Personen hergestellt werden, wenn die Gesamtheit der Kollegen ab einer bestimmten Größe der Organisation dies nicht mehr gemeinschaftlich gewährleisten kann.

4. Vom Gewährleister der Superstruktur zur Unternehmensleitung

Es mag nun erscheinen, als ob ich das Pferd von hinten aufzäume, da selbstorganisierte Unternehmen meist auf Initiative von Einzelpersonen entstehen und diese dann zumindest vorerst in Form einer Unternehmensleitung für eine dauerhafte Superstruktur sorgen. Aus meiner Sicht bedarf es aber einer Rechtfertigung der Unternehmensleitung, wenn strukturell doch gewünscht ist, dass die Mitarbeiter verantwortungsvoll selbst entscheiden.

Diese liegt aus in meiner Sicht in der Gewährleistung der Superstruktur. Insbesondere durch die Koheränz zwischen den Mitarbeitern muss eine dauerhafte und produktive Zusammenarbeit ermöglicht werden. Beispiele hierfür sind die Arbeit an einer gemeinsamen Unternehmensstrategie in Form von Vision und Mission, die Bereitstellung und Aufarbeitung von unternehmensrelevanten Informationen und der richtige Umgang mit Entscheidungsbedarfen jenseits der einzelnen Zellen. Nach außen müssen die Grenzen zur Umwelt kontrolliert werden, um für die Kunden klar wahrnehmbar als eigene Organisation zu sein. Dies kann durch die Gewährleistung einer gemeinsamen Unternehmensidentität und eines zellenübergreifenden Marketings, der Sicherung der Selbstorganisation angesichts anderer Inhaberinteressen und der Kanalisierung der Wünsche an die Organisation als solche erfolgen.

Diese Aufgaben müssen aber auch von einer regulären Unternehmensleitung bewältigt werden. Es verwundert daher nicht, dass die Gewährleister der Superstruktur häufig die Geschäftsführer und Vorstände eines selbstorganisierten Unternehmens sind. Im Folgenden werde ich also die Bezeichnung „Unternehmensleitung“ für die Gewährleister der Superstruktur verwenden, um insbesondere bei der Haftung einen einheitlichen Begriff zu nutzen.

5. (Geschäfts-)Führung und Haftung

Das Problem des Haftungsrisikos für die Unternehmensleitung, also für Vorstände und Geschäftsführung in selbstorganisierten Unternehmen stellt sich bei Kapitalgesellschaften (Aktiengesellschaft, GmbH, e.G.) anders dar, als bei der Gesellschaft bürgerlichen Rechts, der GbR. Während in der GbR jede Person persönlich mit ihrem Privatvermögen haftet, haften bei Kapitalgesellschaften die Gesellschafter nur mit dem Geld, welches sie der Gesellschaft dauerhaft zur Verfügung gestellt haben.

Die GbR ist die Grundform der Gesellschaften im Bürgerlichen Gesetzbuch. Sie ist, soweit keine weiteren Gestaltungen im Gesellschaftervertrag getroffen wurden, von Grund auf hierarchiefrei. Alle Gesellschafter sind gemeinschaftlich geschäftsführungs- und vertretungsbefugt, alle Gesellschafter haften für Forderungen gegenüber Dritten jeweils in voller Höhe und der Gewinn der Gesellschaft wird kopfteilig geteilt. Daher bedarf es bei einem Bankkredit auch keiner gesonderten Bürgschaft von Gesellschaftern, da alle Beteiligten mit ihrem kompletten Vermögen haften.

Aber gerade diese Grundregeln einer GbR sind ab einer bestimmten Mitgliedergröße nicht mehr praktikabel. Die Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis lässt sich zwar an die konkreten Anforderungen anpassen – z.B. erhalten einzelne Gesellschafter im Rahmen des Gesellschaftsvertrages Einzelvertretungsbefugnis – die Haftung in einer GbR ist aber stets gesamtschuldnerisch. Das heißt, jeder Gesellschafter haftet auf Forderungen Dritter gegenüber der Gesellschaft in voller Höhe mit dem eigenen Vermögen. Insofern gerät ein selbstorganisiertes Unternehmen in Form einer GbR bei einem Anwachsen der Mitglieder in die Vertrauenskrise, da der Fehler jedes einzelnen Gesellschafters die Haftung aller anderen Gesellschafter nach sich ziehen kann. Das für gute Selbstorganisation wichtige Vertrauen gerät mit der Sorge um die eigene Zukunft der einzelnen Gesellschafter in Konflikt.

Neben der Möglichkeit, eine Personengesellschaft in Form der GmbH & Co. KG zu gründen, macht es deshalb Sinn, auf Kapitalgesellschaften zurückzugreifen, da auf diesem Wege eine Beschränkung der Haftung möglich ist und eine Existenz der Kapitalgesellschaft unabhängig vom Mitgliederbestand, hinreichend Kontinuität ermöglicht.

Als klassische Formen der wirtschaftlich tätigen Kapitalgesellschaften lassen sich die Aktiengesellschaft (AG), die Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH), die Genossenschaft (eG) und mit der Besonderheit, dass sie keine Gesellschafter hat, die Stiftung nennen. Diese Gesellschaften unterscheiden sich untereinander vorwiegend im Verhältnis zwischen Geschäftsleitung und Gesellschaftern, der Möglichkeit Gesellschaftsanteile zu kaufen und zu verkaufen, den Stimmrechten der Gesellschafter und den unterschiedlichen gesetzlichen Regelungen zum Schutz der Belange der Gesellschafter.

Was alle Kapitalgesellschaften gemeinsam haben, ist die Haftungsbeschränkung auf das Vermögen der Gesellschaft. Dadurch haften die einzelnen Mitglieder nicht mehr mit ihrem persönlichen Vermögen. Der Gesetzgeber will aber auch bei diesen Gesellschaften die Sicherheit des Rechtsverkehrs, den Gläubigerschutz und den Arbeitnehmerschutz gewährleistet sehen. Im Gegenzug verlangt er die Erfüllung gewisser Schutzregeln. Das beginnt damit, dass Kapitalgesellschaften erst mit der Eintragung in ein Register entstehen können. Das Registergericht achtet darauf, dass alle notwendigen Voraussetzungen erfüllt sind. Als Gegengewicht zur Haftungsbeschränkung der Gesellschaft nimmt das Konzept der persönlichen Verantwortungen vorwiegend die Leitungsorgane in die Pflicht.

6. Konzept der persönlichen Verantwortung

Die Unternehmensleitung trifft eine besondere Verantwortung gegenüber der Organisation selbst und auch gegenüber der Umwelt, die im Rahmen eines funktionierenden Rechtsverkehrs auf eine ordnungsgemäße Zusammenarbeit mit einer funktionierenden Organisation vertrauen können muss.

Der deutsche Gesetzgeber nutzt zur Absicherung des entgegengebrachten Vertrauens der beschränkten Haftung bei Kapitalgesellschaften das Konzept der persönlichen Verantwortung. Soweit die Unternehmensleitung durch eigenes Verschulden dieses Vertrauen enttäuscht und dadurch ein Schaden entsteht, haftet zwar grundsätzlich erst einmal die Gesellschaft (§ 31 BGB). Im Verhältnis zur Gesellschaft selbst muss sich aber die Unternehmensleitung persönlich verantworten.

Das ist aus meiner Sicht auch richtig, soweit vorsätzlich, also mit Wissen und Wollen ein pflichtwidriger Erfolg angestrebt wird. Auch bei grober Fahrlässigkeit, die dann vorliegt, wenn die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt wurde, ist gegen eine persönliche Verantwortung nichts einzuwenden. Wer also vorsätzlich betrügt oder einen groben Fehler nicht behebt, obwohl der Eintritt eines darauf beruhenden Schadens äußerst wahrscheinlich ist, muss hierfür auch haften. Bei einfacher Fahrlässigkeit allerdings führt das Konzept der persönlichen Verantwortung zu Ungereimtheiten.

Dave Snowden (*1954, walisischer Komplexitätsforscher und Managementberater) unterscheidet – vereinfacht gesagt – in seinem Cynefin-Framework zwischen einfachen, komplizierten, komplexen und chaotischen Problemen.

Einfache Probleme können mit bewährten Methoden, komplizierte Probleme können mit einer guten Analyse und mit Fachwissen gelöst werden. Auch hier sollte bei nicht ausreichender Sorgfalt eine persönliche Zurechnung der Verantwortung nichts im Wege stehen.

Anders verhält es sich bei komplexen und chaotischen Problemen. Hier kann eine Lösung nicht vorab berechnet (komplizierte Probleme) oder abgeschaut (einfache Probleme) werden. Vielmehr ist das Verstehen des Zusammenhangs zwischen Ursache und Wirkung – also zwischen Entscheidung und Umsetzung auf der einen Seite, und tatsächlichem Resultat auf der anderen Seite – erst im Nachhinein möglich. Die Handlungsalternativen unterscheiden sich allerdings insofern, als bei komplexen Problemen die Lösung ertestet werden muss, während bei chaotischen Problemen nur resolutes Handeln hilft.

Und dies vorweggenommen: Alle Probleme bei denen Menschen als Akteure beteiligt sind, sind entweder komplex oder chaotisch. Bei Schäden, die aus komplexen Entscheidungssituationen heraus erwachsen, sollte die objektive Zurechnung des Schadens zum Verursacher also noch einmal genauer betrachtet werden. Dies gilt insbesondere beim unten beschriebenen betrieblichen Organisationsverschulden.

In der öffentlichen Wahrnehmung der Wirtschaftswelt scheint diese Erkenntnis aber nicht besonders verbreitet zu sein. So schreibt doch Luhmann (*8. Dezember 1927 – 6. November 1998, Soziologe und Vertreter der Systemtheorie) in „die Kontrolle von Intransparenz“ ganz anschaulich, dass die moderne Welt vorwiegend als Anlass für und als Resultat von Entscheidungen erscheint. Da in einer unübersichtlichen Welt hermeneutische Notlagen oder Auslegungsschwierigkeiten auf der Tagesordnung stehen, wird auf die Kreativität der Akteure zurückgegriffen, um Entscheidungen zu erklären. So wird der persönliche Beitrag von Personen sowohl für gelungene, als auch für misslungene Entscheidungen überschätzt.

Es entsteht der Eindruck, dass die Unterscheidung zwischen richtiger und falscher Entscheidung eine höchstpersönliche Kompetenz einer Person ist, die sie auch am Ende persönlich zu verantworten hat.

7. Die Verantwortlichkeit der Organe nach innen und außen

Bei einer Kapitalgesellschaft müssen sich für den Rechtsverkehr alle(auch potentielle) Vertragspartner diverse Fragen stellen. Mit wem spreche ich, wenn ich mit der juristischen Person reden will? Wer ist verantwortlich, wenn etwas schiefgeht? Wer sagt mir, ob überhaupt noch Geld in der Kasse ist?

Der Gesetzgeber knüpft die Verantwortlichkeit für das Handeln der juristischen Person an die Organe (Geschäftsführer, Vorstände, etc.). Die Organe bzw. die Geschäftsführung vertreten die Gesellschaft nach außen. Dem Grundsatz nach haftet für ihr Handeln aber die Gesellschaft. Lediglich in Ausnahmefällen greift die Haftung durch die Organe. Dies nennt man Außenhaftung der Organe.

Aber auch die Gesellschaft und mit ihr die Gesellschafter (Aktionäre, Mitglieder einer Genossenschaft und GmbH-Gesellschafter) sollen vor Fehlentscheidungen ihrer Organe geschützt werden. Bei der Haftung der Organe gegenüber der Gesellschaft wird von Innenhaftung gesprochen.

a) Außenhaftung

Die Kapitalgesellschaft haftet, wenn Dritten durch die Verletzung von Sorgfaltspflichten ein Schaden entsteht (§ 31 BGB), jedoch nur mit dem Gesellschaftsvermögen, nicht mit dem Vermögen der einzelnen Gesellschafter. In manchen Fällen kann die Haftung aber auf die Unternehmensleitung durchschlagen.

Dies kann z.B. im Rahmen einer Insolvenz erfolgen. Zu den Voraussetzungen, eine Kapitalgesellschaft zu gründen, gehört die Bereitstellung von Haft- oder Stammkapital. Außerdem müssen die Organe gewährleisten, dass die Gesellschaft hinreichend liquide Mittel zur Verfügung hat, um laufende Forderungen zu begleichen. Wenn dies nicht mehr gewährleistet ist, muss das geschäftsführende Organ die Insolvenz der Gesellschaft anmelden. Geschieht dies nicht, macht sich das Organ einerseits strafbar und haftet auch für durch die Insolvenzverschleppung entstandenen Schäden persönlich. Schlussfolgerung: das geschäftsführende Organ muss stets den Überblick über die konkrete Finanzsituation der Gesellschaft haben.

Ähnliche Haftungstatbestände gibt es, wenn die Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung nicht abgeführt oder die Steuern nicht gezahlt werden oder wenn der Geschäftsführer in seiner Tätigkeit Straftaten begeht (z.B. Betrug oder Untreue).

Die Leitungsorgane von Kapitalgesellschaften müssen diesen Pflichten nachkommen und auch das Recht haben, deren Einhaltung zu gewährleisten. Dies sollte aber einer freien und selbstbestimmten Entscheidungs- und Arbeitskultur nicht entgegenstehen.

b) Innenhaftung

Viel höher sind die Haftungsgefahren der Geschäftsführung bei der so genannten Innenhaftung. Hier macht die Gesellschaft das Organ verantwortlich für Schäden, die ihr durch sein Handeln entstanden sind.

Hier ist besonders das betriebliche Organisationsverschulden, ein Unterfall der unerlaubten Handlung nach § 823 Abs. 1 BGB zu beachten. Hiernach haftet die Gesellschaft gegenüber Dritten, wenn sie versäumt, allgemeine organisatorische Anordnungen zu treffen. Da diese aber durch die Unternehmensleitung erfolgen müssen, kann die Gesellschaft diese in Anspruch nehmen.

Das Organ haftet gegenüber der Gesellschaft dann nicht nur für eigene Fehler, sondern auch für die Fehler anderer, wenn diese aufgrund einer mangelhaften Organisation, das heißt keiner klaren Definition von Aufgaben und Kompetenzen, entstanden sind. Das betriebliche Organisationsverschulden kennt drei Formen:

  • Selektionsverschulden liegt vor, wenn ein Unternehmen die Verantwortung an ungeeignete Mitarbeiter delegiert;
  • Anweisungsverschulden liegt vor, wenn Arbeitsanweisungen fehlen, fehlerhaft oder lückenhaft sind;
  • Überwachungsverschulden liegt vor, wenn Kontrollen gar nicht oder lückenhaft durchgeführt werden.

Das bedeutet, dass die Unternehmensleitung gewährleisten muss, dass die richtigen Personen ausgewählt werden und ihnen die richtigen Arbeitsanweisungen gegeben werden und auch die Mitarbeiter überwacht werden.

Dies macht deutlich, dass die Geschäftsführung keineswegs durch die Haftungsregeln dazu gezwungen ist, selbst alle Entscheidungen zu treffen. Vielmehr ist es gut möglich, Entscheidungsmacht zu verteilen, solange ein sorgfaltsgemäßer Betrieb durch klare Aufgabenverteilung gewährleistet wird.

Hier stehen selbstorganisierte Unternehmen vor der Herausforderung, dass nicht immer eine klare Aufgabenverteilung besteht. Während bei Holacracy (auf der Soziokratie aufbauendes Managementsystem) die Aufgaben von Kreisen und Rollen genau definiert sind und diese digital für alle transparent festgehalten werden, bleibt dies in anderen Organisationen vage und unterfällt eher einer informellen Abstimmung, die auf Vertrauen und geschulter Kommunikation beruht. Soweit die Leitungsorgane von einer konkreten klaren Aufgabenverteilung Abstand nehmen wollen, müssen sie also die Funktionsfähigkeit der Organisation auf anderem Wege gewährleisten. Besonderer Schwachpunkt ist die Entstehung informeller Hierarchien und ungesunder Machtverhältnisse, die sich nur schwer korrigieren lassen, da sie unsichtbar und intransparent sind. Über klare Kompetenzzuweisungen lässt sich hingegen offen diskutieren.

Zusätzlich trifft die Geschäftsleitung die Verantwortung, die Tätigkeit der Mitarbeiter im Unternehmen zu überwachen und zu kontrollieren. Wie aber kann diese Überwachung möglichst hierarchiearm gestaltet werden?

c) Transparenz und Qualitätsmanagement

Begreift man die Überwachung als Monitoring, kann dies für Unternehmen mit flachen Hierarchien von besonderem Nutzen sein. Wenn Entscheidungen von allen getroffen werden sollen, müssen auch alle ausreichend informiert sein und den Überblick behalten. Das geschäftsführende Organ hat dann die Aufgabe, nicht nur zu überwachen, sondern auch seine Erkenntnisse ins Unternehmen zurückzuspiegeln und zu gewährleisten, dass sie auch von allen verstanden werden. Statt der traditionellen Entscheidungs- und Weisungsfunktion hat die Geschäftsleitung nun eine Analyse-, Feedback- und Koordinationsfunktion. Sie sorgt dafür, dass Probleme identifiziert werden und dass diese von Arbeitsgruppen oder einzelnen Personen behoben werden. Dadurch können die Abstimmungsprobleme, die bei flachen Hierarchien bzw. Hierarchiefreiheit entstehen können, gemindert werden.

An dieser Stelle will ich wieder Niklas Luhmann heranziehen. In „Kontrolle der Intransparenz“ erläutert er, dass Kommunikation unter der Voraussetzung wechselseitiger Intransparenz entsteht. Die gilt sowohl für die Umwelt von Organisationen, als auch für die Organisation selbst. Je höher die Intransparenz ist, umso mehr steigt der Kommunikationslevel. Im Gegenzug sollte eine erhöhte Transparenz innerhalb der Organisationen zu einer verminderten Kommunikationsnotwendigkeit in der Organisation führen und damit Freiräume schaffen für andere notwendige Kommunikation, insbesondere über Fehler und wie mit diesen umzugehen ist.

8. Business Judgment Rule und Haftungsbeschränkungen 

Die Business Judgement Rule ist ein Rechtsgrundsatz, wonach die Gerichte nicht urteilen, ob die Entscheidung einer Unternehmensleitung inhaltlich „richtig“ oder „falsch“ war, sondern nur, ob sie die Entscheidung mit der notwendigen Sorgfalt vorbereitet hatte.

So hat der BGH im Jahre 1997 entschieden, dass ein Unternehmensleiter für eine unternehmerische Entscheidung nicht persönlich haftet, wenn er ausreichend gut informiert war und eine Entscheidung nachvollziehbar im besten Sinne des Unternehmens getroffen hat (BGH, Urteil vom 21. April 1997, BGHZ 135, 244).

Inzwischen ist die Business Judgement Rule in das Aktiengesetz aufgenommen, § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG. Die Regel erleichtert es Organen, Entscheidungen abzugeben. Wichtig ist, dass die Geschäftsleitung den Entscheidungsprozess sauber dokumentiert(oder dokumentieren lässt), um nachweisen zu können, dass sie sich ausreichend informiert hat und keine Risiken fahrlässig übersehen hat. Dann kann sie von der Gesellschaft nicht mehr wegen Sorgfaltspflichtverletzungen in Anspruch genommen werden. Auch hier helfen klare Aufgabenzuweisungen und Abläufe, da sie die Dokumentation vereinfachen.

Einer Geschäftsleitung, die bei der Suche nach Problemen alle mit einbindet, kann schwer vorgeworfen werden, sie habe sich nicht ausreichend informiert. Je besser die Mitarbeitenden wiederum durch die Geschäftsführung informiert sind, desto besser können sie Alleingänge der Geschäftsführung verhindern und desto unwahrscheinlicher ist es, dass sie diese im Nachhinein verklagen für Entscheidungen, an denen sie selbst beteiligt waren.

Das Organ als Geschäftsführung erhält in der Konsequenz eine Transparenz- und Dokumentationsfunktion, die lediglich zum Eingreifen verpflichtet ist, wenn Probleme zwar identifiziert wurden, sich aber niemand darum kümmerte.

Jenseits dessen ist Selbstorganisation eine Führungsaufgabe und die Unternehmensleitung, wenn sie nicht selbst (Mehrheit-)Eigentümer des Unternehmens ist, sollte die volle Unterstützung der Inhaber haben. Um das oben benannte Risiko zu beschränken – insbesondere wegen betrieblichen Organisationsverschuldens in Haftung genommen zu werden – können die Inhaber eines Unternehmens die Haftungsansprüche gegenüber der Unternehmensleitung nur auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit beschränken.

9. Versicherbarkeit von Risiken

Im Übrigen können die Haftungsrisiken der Organe mit einer D&O Versicherung (directors and officers) versichert werden. In gewisser Hinsicht wäre dies aber inkonsequent. Wenn die Gesellschafter wollen, dass innerhalb des Unternehmens nicht durch die Organe, sondern durch andere Mitarbeiter entschieden wird, sollte bei einem Haftungsfall auch nicht das Organ in Anspruch genommen werden. Sinnvoller wäre die Bildung von Rücklagen, um solche Risiken aus der Kriegskasse zu zahlen.

10. Fazit

Die Haftung der Unternehmensleitung stellt ohne Zweifel eine Herausforderung für dezentral selbstorganisierte Unternehmen dar. Die Rechtsordnung zwingt die Unternehmensleitung, den Überblick über das Unternehmen zu behalten und Schadensfälle zu vermeiden, jedoch nicht, Entscheidungen grundsätzlich allein zu treffen.

Das frühzeitige Erkennen von Risiken oder Fehlentwicklungen, das Koordinieren von Aufgaben ebenso wie das Vertreten des Unternehmens nach außen, sind Aufgaben, die in einem gut funktionierenden Unternehmen ohnehin wahrgenommen werden sollten/müssen. Da die Unternehmensleitung für Transparenz im Unternehmen sorgt, sollte sie schlussendlich auch so gut informiert sein, um relevante Fehlentwicklungen absehen zu können. Ihr bleibt rein rechtlich ein Eingriffsrecht, wenn Missstände vorliegen und angesichts von chaotischen Zuständen trifft die Unternehmensleitung nach meinem Dafürhalten sogar die Pflicht einzugreifen, da – zumindest Dave Snowdon folgend – nur autoritäres Verhalten eine Beherrschung der Situation ermöglicht.

Dies wird aber die Ausnahme bleiben und es liegt in der Verantwortung der Mitarbeiter, dass die Unternehmensleitung nicht gezwungen sein muss einzugreifen und von den ihr gesetzlich zugesprochenen Rechten Gebrauch macht.


Konrad Bechler ist Rechtsanwalt, Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht und ausgebildeter systemischer Organisationsentwickler. Er berät Unternehmen bei der Suche nach der richtigen Rechts- und Organisationsform, um eine bessere Zusammenarbeit im Unternehmen zu ermöglichen. Er entwickelt auf Zusammenarbeit aufbauende Geschäftsmodelle und er berät Unternehmer, wenn sie ihre Mitarbeiter beteiligen wollen oder eine Nachfolge an ihre Mitarbeiter anstreben. Wer mehr über Konrad und seine Arbeit erfahren möchte, kann das hier auf seiner Webseite BECHLER Kollaborationsberatung tun.

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