»playful culture«

  • 21.04.2021
  • von Gastautor*in
Unser Gastautor Manuel Grassler hat uns sofort mit seiner Aufforderung begeistert: Kommt ins Spielen! Im Kopf, im Team und in der Organisation bringt ein spielerisches Mindset Bewegung ins Denken - und Handeln ...
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Auszug aus den Megatrends 2021
„Playfulness: Unsere hypervernetzte Welt mit ihrem hohen Komplexitätslevel und den ständigen Überraschungen erfordert Playfulness – ein spielerisches Denken und Handeln. Ergebnisoffenes, exploratives Ausprobieren, Trial-and-Error-Mentalität und das Be- greifen von Scheitern als Chance machen den spielerischen Ansatz aus, durch den wir als Kinder komplexe Dinge lernten. Diese Playfulness gilt es in allen Bereichen des Erwachsenenlebens zu reaktivieren.“

Spielen: Evolutionär kontraproduktiv oder lebensnotwendig?

Eines meiner größten Anliegen ist es, dass die Arbeit ein Stück weit freier, spielerischer, offener und damit auch gestaltungsfähiger wird. Warum? Ich bin der Ansicht, dass Spielen unsere angeborene Komplexitätsbewältigungskompetenz oder Veränderungskompetenz ist. Auch werde ich nicht müde zu betonen, dass Spielen die natürlichste Form des Lernens ist. Das können wir nicht nur bei unseren Kindern erleben, die sich im Spiel, die – von uns Erwachsenen konstruierte – Welt ein Stück weit nach ihren Vorstellungen gestalten, sondern auch in der Tierwelt.

Untersuchungen von diversen Biolog*innen gingen der Frage nach, warum Tiere spielen. Schließlich erfüllt das Spiel auf den ersten Blick keinen Zweck: Es verbraucht Kalorien und und birgt ein gewisses Risiko aufgrund von potenziellen Verletzungen. Die Evolution hätte dieses „vermeintlich zweckslose“ Verhalten schon längst aussortiert.

„Also warum hat sich der Spieltrieb bei höheren Lebewesen über die Jahrtausende erhalten?“

Der wahre Zweck, der dieses risikobehaftete Verhalten rechtfertigt, wird erst auf den zweiten Blick erkennbar: Im Spiel erforschen Tiere – genauso wie wir Menschen – die Welt. Sie lernen Bewegungsabläufe, üben sich in sozialer Interaktion, entwickeln ihre kognitiven Fähigkeiten und rüsten sich dadurch für den Ernstfall. „Spielen ist nicht nur ein Lerntrieb, sondern sichert auch unser Überleben“, sagt der Neurobiologe Dr. Stuart Brown in seinem Buch „Play: How it Shapes the Brain, Opens the Imagination, and Invigorates the Soul“.

Darüber hinaus kommt die Biologie zu der Erkenntnis, dass der Spieltrieb allgemein ein Indikator für unsere körperliche Gesundheit und unser psychisches Wohlbefinden ist. Wer krank oder überlastet ist, spielt nicht oder kann sich zumindest schwerer auf spielerisches Verhalten einlassen. Spielen ist nicht nur ein Lerntrieb, sondern sichert unser Überleben.

Warum soll gerade jetzt mehr in der Arbeitswelt gespielt werden?

Das 20. Jahrhundert war stark geprägt von Effizienzsteigerungen, stark geprägt vom Scientific Management. Ständig ging es darum, Abläufe zu verbessern, die Produktion zu steigern und alles, was nicht effizienzsteigernd war, aus den täglichen Arbeitsabläufen zu streichen. Damit auch Kreativität, Freude und Spiel.

Im 21. Jahrhundert erleben wir nun massive Umbrüche. Technologien ändern die Art und Weise, wie wir kommunizieren, wie wir auf Arbeit zugehen und wo wir arbeiten. Neue Fragen kommen auf, was unserer immer komplexer werdenden Arbeitswelt zugrunde liegt. Die Wissensarbeit und zunehmend auch die emotionale Arbeit rücken in die Mittelpunkt. Daher glaube ich, dass wir genau diese vorhin erwähnte spielerische Komplexitätsbewältigungskompetenz oder Veränderungskompetenz wieder erwecken müssen, um in der Arbeit erfolgreich zu sein und mögliche Antworten und Haltungen auf jene Fragen zu finden, die uns nachts nicht schlafen lassen.

Komplexität vs. Gestaltbarkeit

Wir allen kennen vermutlich den Begriff „VUCA“ im Kontext unserer heutigen Arbeitswelt: Komplexität steigt, Ambivalenz steigt, Unvorhersehbarkeit steigt und Veränderungen passieren immer schneller. Dennoch passiert gleichzeitig auch etwas anderes: Durch technologische Entwicklungen und die Demokratisierung der Technologie steigt mit der Komplexität auch der Grad der Gestaltbarkeit.

Das heißt, wir als Individuen, Teams, Organisationen und Gesellschaften haben viel mehr Möglichkeiten, unsere Arbeit, das Miteinander und die Wirkung, die wir erzielen wollen, selbst zu gestalten. Aus dem einfachen Grund, dass wir heutzutage Technologien zur Verfügung haben, die vor 30 Jahren nur Konzernen oder großen Institutionen vorbehalten blieben. Das eröffnet jedem von uns immenses Potenzial zur Entfaltung, Entwicklung und für innovative Lösungen.

Warum unser „business as usual“ nicht mehr ausreicht

Situationen, in denen wir uns in der Berufswelt auf jahrelang erprobte und unveränderte Prozesse stützen konnten, gehören mehr und mehr der Vergangenheit an. Immer häufiger erfordern Situationen neue Verhaltensweisen von uns – aufgrund neuer Anforderungen von Kund*innen, Mitarbeiter*innen oder Technologien. Unser „business as usual“ wird uns da nicht weit bringen. Stattdessen ist Improvisation gefragt.

Genau dabei hilft uns das Spiel ebenso wie ein spielerisches Mindset, indem es unsere Improvisationsfähigkeit fördert. In Situationen, die Improvisation verlangen, stellen wir uns nicht die Frage, ob wir dieser gewachsen sind oder nicht. Dafür bleibt keine Zeit. Die Frage lautet stattdessen: Machen wir das jetzt, oder nicht? Das „Wie“ ergibt sich erst im Tun und damit die Möglichkeit, das Beste aus dem Moment herauszuholen.

Ein anderer Aspekt, warum Spielen in der Arbeit essentiell ist, ist unsere Vorstellungskraft. 

Die vielen Möglichkeiten, mein Umfeld, mein Business, mein Leben zu gestalten, erfordern von mir meine Vorstellungskraft darüber, was sein kann, darf und soll.

Denn ich kann nur das gestalten, was ich mir vorstellen kann. Es geht also ganz stark darum, die eigene und gemeinsame Vorstellungskraft zu nutzen, um neue Wege, Chancen und Möglichkeiten überhaupt einmal gedanklich zu erfassen. Erst dann, wenn wir eine Vision entwickeln und Möglichkeitsszenarien gedanklich durchspielen, können wir unser Umfeld und unser Leben dahingehend auch gestalten und konkrete Schritte setzen.

Genau das ist ein großer Teil des Spiels:

„Es geht viel um Vorstellungskraft, Fantasie, das Eintauchen in neue Welten und Möglichkeiten.“

Wenn uns dieser Aspekt fehlt, tun wir uns schwer, mit neuen, komplexen Situationen umzugehen und sehen uns dazu gezwungen, im Status Quo zu verharren.

Ein dritter Aspekt ist die Inspiration oder auch Begeisterung. Wollen wir unser Umfeld und unsere Zukunft gestalten, gelingt uns das in den seltensten Fällen alleine. Wir sind auf unser Umfeld angewiesen und auch darauf, Mitspieler*innen für unsere (gemeinsamen) Vorhaben zu finden. Ein spielerisches Mindset unterstützt uns dabei, Einladungen auszusprechen, Mitspieler*innen zu begeistern oder mit unseren Vorstellungen zu inspirieren, ein gemeinsames Spielfeld der Veränderung zu etablieren. Mit dieser Offenheit, Leichtigkeit und Neugierde gelingt es uns leichter, gemeinsam Bewegung ins Spiel zu bringen und damit die Wahrscheinlichkeit einer wünschenswerten Zukunft zu erhöhen.

Erst, wenn wir eine Vision entwickeln und Szenarien gedanklich durchspielen, können wir unser Umfeld und unser Leben dahingehend auch gestalten.

Wo macht Spielen in der Arbeit Sinn?

Spielerisch arbeiten geht überall dort, wo mehr als eine Antwort die richtige sein kann, wo wir Möglichkeitsräume eröffnen wollen, unterschiedliche Szenarien durchspielen müssen oder Dinge erforschen können. Vor allem, wenn dabei mehrere Menschen zusammenkommen, erleichtern spielerische Formate die Kommunikation und Kollaboration.

Ich unterscheide gerne zwischen Spielen als Aktivität und Spielen bzw. Playfulness als Mindset. Mit Spielen als Aktivität meine ich z. B. konkrete Workshops mit LEGO Serious Play, Playmobil Pro oder Story Cubes. Derartige Workshops machen dort Sinn, wo Chancen und Möglichkeiten ausgelotet werden müssen, Kreativität entfacht werden soll und Bilder der Zukunft entstehen sollen.

Playfulness als Mindset hingegen ist etwas, das permanent da sein kann. Wir müssen ja nicht explizit spielen. Es reicht schon, wenn wir offener und mit einer gewissen Neugierde an Fragestellungen, Menschen oder komplexe Situationen herangehen.

Spielen als Mindset beginnt bei uns selbst

Ein Playfulness-Mindset kann sich jede*r von uns aneignen. Der erste Schritt ist, sich selbst die Erlaubnis dazu zu erteilen, spielen zu dürfen. Das muss für andere nicht einmal sichtbar sein. Es kann bereits darin bestehen, z. B. in der Früh einen anderen Weg zur Arbeit zu nehmen und mit offeneren Augen durchs Leben zu schreiten. Oder man stellt sich vor, eine Figur aus seiner Lieblingsserie o. Ä. zu sein und versucht, ein Stück weit in diese Rolle zu schlüpfen. Hauptsache, man hat Spaß dabei und legt die Ernsthaftigkeit und Regeln, in denen wir uns bewegen, ein Stück weit zur Seite. 

Wer für sich selbst ein spielerisches Mindset etabliert, wird auch anderen gegenüber offener, wenn sie ebenfalls lockerer, spontaner und offener mit Situationen und Herausforderungen umgehen. Um Playfulness genügend Raum zu geben, ist es wichtig, sich bewusste Zeitfenster zu schaffen, wo alle rationalen Ziele beiseite geschoben werden. Hier wollen wir ausschließlich Themen nachgehen, die uns gerade interessieren und unsere Neugierde wandern lassen.

„Alles kann, alles darf, nichts muss.“

Diese Freiräume sind notwendig, um neue Impulse und Blickwinkel einzunehmen. Was auch hilft, ist ein Grundvertrauen zu haben, dass jegliches spielerische Denken, Tagträumen oder Abschweifen am Ende des Tages der eigenen Arbeit zuträglich sein wird. Wenn man sich drauf einlässt, wird man das sehr schnell erkennen.

Wie lässt sich das Spiel aktiv in den Arbeitsalltag von Organisationen integrieren?

Hier muss man bereits auf der Führungsebene ansetzen und mit gutem Beispiel vorangehen. Wir können keine Spielkultur entwickeln, indem wir künstlich versuchen, Dinge aufzusetzen. Denn Spielen ist immer eine freiwillige Aktivität. In dem Moment, wo ich spielen muss, entwickelt sich eher eine Gegenspannung. Spielen sollte man daher als eine Einladung an alle anderen aussprechen und dabei selbst authentisch bleiben. Immerhin ist man im Spiel viel mehr bei seinem natürlichen Selbst als in irgendeiner Rolle. 

Es gibt das berüchtigte Zitat, das Plato zugeschrieben wird: „In einer Stunde Spiel lernt man einen Menschen besser kennen, als in einhundert Stunden Gesprächen“. 

Damit wird uns klar: Wenn wir in unserem Arbeitsumfeld Menschen dazu einladen, Mensch zu sein und man es sich selbst erlaubt, bei sich zu sein, dass das Spiel natürlich entstehen und sein Potential entfachen kann, dann macht sich damit auch das Gefühl breit, dass das Spielen doch das Normalste auf der Welt ist. Und wenn dieser Raum eröffnet ist, wird alles möglich.


@Christian Thiess

Manuel Grassler ist Facilitator und Experte für Veränderungsprozesse. Er versteht sich als Katalysator für eine spielerische Zukunft der Arbeit und ist damit in der Enfants Terribles-Community genau richtig.

 

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