»Mit der Kamera auf der Suche nach der Zukunft der Arbeit /1«

  • 19.12.2018
  • von Marion King
Marlen Klaws und Finn Köhler haben ein großartiges Filmprojekt zu New Work gestartet ...
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Wir haben ein Interview mit Marlen Klaws und Finn Köhler geführt, die eine sehr tolle Film-Serie zu „New Work“ gestartet haben.

„Wir erkunden, was Arbeit bedeutet, wie sie aussehen kann, wie sie organisiert wird, wie sie uns nicht oder gerade doch ausgeht. Wir suchen auf der ganzen Welt nach Lösungen für eine neue Erwerbsgesellschaft, Organisationsformen, alternative Wege des Wirtschaftens und Bildungseinrichtungen, die sich für lebenslanges Lernen einsetzen. Diese Geschichten verarbeiten wir in einer Dokumentationsreihe “One Day / Day One”, die wir auf Vimeo, auf unserer Webseite und Facebook veröffentlichen. Unsere erste Episode zu Detroit ist seit Anfang Dezember 2018 abrufbar.“

Ihr habt 60 Menschen in 14 Ländern zu “New Work” interviewt. Das ist ein ganz schönes Mammut-Programm. Wie seid Ihr auf die Idee gekommen?

Marlen: Ich hab mich in den vergangenen Jahren mit der Frage nach der Zukunft der Arbeit auseinandergesetzt, insbesondere mit der Frage, wie sich Organisationen verändern müssen, um in diesem Wandel zu bestehen. Was mir dabei aufgefallen ist, dass die Debatte zur Zukunft der Arbeit beinahe ausschließlich auf Probleme fokussiert ist, aber kaum auf Lösungen für eine andere Erwerbsgesellschaft eingeht. Die ersten Fragen lauten immer “Wie viele Jobs fallen dadurch weg?” und “Wie können wir Vollbeschäftigung erreichen?” Die anhaltende Sorge vor einem neuen Maschinenzeitalter unterstreicht die enorme Bedeutung, die Arbeit in unserer Gesellschaft einnimmt. Gleichzeitig führen wir die Automatisierungsdebatte seit mehreren Jahrzehnten und schaffen es nicht, uns von alten Ideen und Modellen zu lösen.

Vor diesem Hintergrund haben wir uns im Sommer 2017 zusammengesetzt und waren uns schnell einig: Wir wollen weltweit Lösungen suchen und vorstellen, wie Arbeit und eine veränderte Erwerbsgesellschaft aussehen kann. Was bedeutet Arbeit für den Einzelnen und was macht sie menschlich? Was würden Menschen tun, wenn für ihr Einkommen gesorgt wäre? Wie können alternative Formen des Wirtschaftens und des Zusammenlebens aussehen?

Finn: Von diesen Fragen ausgehend sind wir dann schnell auf die Idee zu unserem Projekt gekommen: Wir wollten uns auf die Suche nach den Vordenkerinnen, Machern und Wissenschaftlerinnen machen, die nicht nur Debatten anstoßen, sondern sich in ihrem Handeln mit der menschlichen Zukunft von Arbeit auseinandersetzen und neue Wege einschlagen. Die Liste an interessanten Menschen ist dann schnell länger geworden und am Ende kamen über 60 Menschen in 14 Ländern zusammen, die wir besucht haben.

Und wie habt Ihr entschieden, mit wem Ihr sprechen möchtet?

Finn: Wir haben das Projekt mit einer dreimonatigen Recherche-Phase begonnen. Dafür haben wir uns in verschiedenen Studien eingelesen, um ein besseres Verständnis für das Thema Arbeit zu bekommen, haben Zeitungen und Magazine auf der ganzen Welt gelesen. um herauszufinden, wo und wie Arbeit heute schon anders gedacht und gestaltet wird. Außerdem haben wir Workshops mit unserer Community und Experten organisiert, um weitere Personen und Orte zu finden, die wir besuchen sollten.

Richtig interessant wurde es nochmal, als wir die ersten Interviews gedreht hatten und mit den Menschen persönlich ins Gespräch gekommen sind. Nach dem Schneeball-Prinzip haben wir so immer wieder neue Ideen gesammelt. Dann war es für uns natürlich sehr wichtig auch wirkliche Lösungen zu finden, die uns zu einer wünschenswerten Zukunft der Arbeit führen können, und nicht nur zu neuen Produkten oder schöneren Büros.

Und wie ist das ganze Projekt überhaupt gelaufen?

Marlen: Ich habe bestimmt in keinem Jahr so häufig den Blickwinkel gewechselt, welche Rolle Arbeit in der Gesellschaft hat und welche Bedeutung ich ihr selbst zuschreibe. Am Anfang haben wir uns mit Kameraequipment und vielen Fragen im Gepäck auf den Weg gemacht und während den Reisen unsere Ideen, Fragen, und Blickwinkel immer weiter entwickelt. Natürlich erwischt man auch mal einen Interviewpartner, der überhaupt nicht ins Konzept passt, aber das gehört dazu. Auf der anderen Seite wird man aber auch positiv überrascht: Wir waren häufig an besonderen Orten, bei denen wir es am Anfang nicht erwartet hätten. An den Orten wären wir dann auch gerne länger geblieben.

Das Projekt ist aber noch lange nicht vorbei. Wir haben gerade damit begonnen, auf unserer Seite kurze Videoclips von unserer Reise zu veröffentlichen – ein Blick hinter die Kulissen sozusagen. Der erste Zusammenschnitt aus Detroit ist letzte Woche online gegangen. An den nächsten Episoden arbeiten wir bereits. Nächstes Jahr stehen dann noch weitere Reisen an.

Was ist denn Eure Definition von “New Work”?

Finn: Ich habe vor dem Beginn des Projekts den Begriff New Work als sehr oberflächlich wahrgenommen. Für mich ging es damals bei New Work hauptsächlich darum, wie der Arbeitsalltag angenehmer gestaltet werden kann: schicke Büros, kostenloses Mittagessen, flexible Arbeitszeiten. Solche Sachen. Alles, um die Produktivität zu erhöhen und das Unternehmen erfolgreicher zu machen. Das Verständnis für die Tragweite und Vielschichtigkeit des Begriffs und der Thematik hat sich auf der Reise dann stark verändert. Ich musste den Begriff für mich immer wieder neu definieren und mir neue Fragen stellen.

Kann “New Work” wirklich zu gesellschaftliche Lösungen führen? Kann es sein, dass “New Work” weg von einer reinen Erwerbsgesellschaft und hin zu selbstbestimmtem Arbeiten führen kann? Über den Zeitverlauf hinweg habe ich den Begriff immer mehr als Bewegung empfunden, der die Menschen dazu bringt, das zu tun, was sie wirklich tun wollen. Diese Definition lag dann auch sehr nah an der von Frithjof Bergmann, dem Gründungsvater der “New Work”-Bewegung, den wir in Detroit treffen und interviewen durften.

Marlen: Ich hatte “New Work” von Anfang an als Begriff im Kopf, der sich aus der globalisierten und digitalisierten Wirtschaft ergeben hat und die Entwicklung von einer Industrie- hin zu einer Wissensgesellschaft beschreibt. Dafür brauchen wir andere Strukturen, andere Fähigkeiten, neue Bildungskonzepte und letztlich auch andere politische Modelle, sowie gesellschaftliche Debatten. Auf der Reise haben wir uns allerdings nicht nur auf “New Work” konzentriert, sondern auf die menschliche Zukunft der Arbeit allgemein. Wir wollten uns nicht auf ein Konzept versteifen, sondern vielmehr offen explorieren: Wie kann Arbeit aussehen?

Wie hat sich der Begriff der Arbeit für Euch verändert?

Marlen: Ich habe mich zu Beginn erstmal mit den philosophischen Grundlagen und der Geschichte von Arbeit auseinandergesetzt: In der Antike war Arbeit ein notwendiges Übel, dann eine göttliche Strafe, eine Notwendigkeit zur Absicherung der eigenen Existenz und mittlerweile der Normalzustand. Eine aktive Arbeitsmarktpolitik ist immer auf Vollbeschäftigung ausgerichtet – Arbeit ist zentraler Integrationsfaktor auf allen Ebenen. Unsere Gesellschaft scheint geprägt von einer Sehnsucht nach Arbeit bei gleichzeitiger Unfähigkeit zur Muße. Gleichzeitig ist Arbeit Herrschaftsinstrument, strukturiert unsere Tage; letztlich unser gesamtes Leben.

Was sich für mich verändert hat, ist das Verständnis, dass, wenn Arbeit in der Zukunft wirklich gut sein soll – und ich glaube, dass Arbeit einen gewissen Zweck im menschlichen Dasein erfüllt – dann muss sie durch Freiheit bestimmt sein. Denn, wenn ich frei bin was zu tun, dann werde ich tätig und aktiv.

Hat sich Euer Blick auf das Thema im Lauf der Interviews verändert?

Finn: Auf jeden Fall! Mit jedem Interview kam eine neue, interessante Perspektive hinzu, mit der wir uns auseinandergesetzt haben. Wir wollten bewusst herausfinden, wie andere Menschen Arbeit definieren oder neu gestalten würden. Ich glaube, es ist unglaublich wichtig, dass man keine Definition von Arbeit vorschreibt, sondern den Menschen selbst überlässt, woran und wofür sie arbeiten. Wir haben Menschen getroffen, die Arbeit als Selbsterfüllung begreifen; Menschen, die die Welt mit ihrer Arbeit verändern wollen; Menschen, die sich durch Bezahlung wertgeschätzt fühlen und ihre Familie damit ernähren wollen.

Was sind für Euch die Learnings aus Eurer Reise?

Marlen: Zum einen gewiss die Hierarchie, in der bestimmte Jobs automatisiert werden können und einem besseren Verständnis, was Technologie leisten kann. Nehmen wir Uber als Beispiel: Hier hat die Automatisierung nicht die Fahrer ersetzt, sondern das mittlere Management. Der Algorithmus übernimmt Evaluation, Monitoring und die Moderation zwischen Angebot und Nachfrage. Die Richtung der Automatisierung verweist auch darauf, was in der Zukunft besonders bedeutsam wird: Menschliche Fähigkeiten. Doch wie stärken wir die?

Diese Frage hat unsere Exploration in ganz neue Bahnen gelenkt: Wir haben uns viel mit dem Thema Bildung auseinandergesetzt und unterschiedliche Schulen sowie Ausbildungsstätten für Erwachsene besucht. Außerdem sind wir auf die Bedeutsamkeit lokaler Produktion gestoßen: Überall auf der Welt haben wir Maker Spaces und lokale Werkstätten entdeckt, die zu einem neuen Gefühl der Gemeinschaft, einem Austausch zwischen den Generationen anregen, direkt lokalen Mehrwert schaffen und sich global austauschen. Was viele Lösungen eint ist, dass sie Menschen den Raum geben, in dem sie selbst experimentieren können und gestalten lernen. Dann können sie sich selbst neue Arbeit schaffen und sind zu Dingen fähig, die vorher kaum jemand von ihnen erwartet hätte.

Diese Projekte und Stätten werden auch Teil unserer kommenden Episoden werden, die wir gerade produzieren.

Was hat Euch am meisten überrascht, was am meisten beeindruckt?

Finn: Es hat uns schon sehr überrascht, zu merken, wie offen und hilfsbereit die Menschen waren, die wir kontaktiert haben. Wir sind ja ganz ohne öffentliche Reputation: jung, neugierig und mit etwas Equipment ausgestattet – und trotzdem haben wir immer Zusagen bekommen. Die Menschen haben uns zu sich nach Hause eingeladen, sich viel Zeit genommen für uns und die tollsten Geschichten erzählt. Mit einigen halten wir auch ein Jahr später noch regen Kontakt.

Beispielsweise wurden wir von Daniel Häni, dem wohl bekanntesten Verfechter des bedingungslosen Grundeinkommens in der Schweiz, ins Unternehmen Mitte in Basel eingeladen. Es befindet sich in einem alten Bankgebäude, eine Art Epizentrum des kreativen Aktivismus und Caféhaus in einem. Daniel Häni versteht die Macht der Bilder und Inszenierung. Für unser Interview saßen wir dann auch im ehemaligen Safe der Bank, während er uns von seinen Arbeiten erzählte und wir über die Zukunft der Arbeit sprachen. Auf die Episode freue ich mich auch ganz besonders.

Nicht weniger beeindruckend war der Besuch in der Brightworks School in San Francisco. Die Schule wurde vom ehemaligen Adobe-Softwareentwickler Gever Tully aufgebaut. Gever hat es zu schaffen gemacht, dass alle seine Freunde zu Helikoptereltern wurden. Er wollte Kinder wieder animieren, zu experimentieren, zu tüfteln und sich immer wieder neu zu erfinden. Dafür erschuf er eine Schule, die an eine riesige Werkstatt erinnert. Alles ist von den Schülerinnen und Schülern gestaltbar und gestaltet: Sie bauen die Möbel selber, alle haben Zugang zu verschiedensten Werkzeugen. Diesen kreativen Freiraum und ein solch besonderes Lernumfeld haben wir sonst selten gesehen.


Und mit den Erkenntnissen, die ihr jetzt gewonnen habt: was würdet ihr jemandem raten, der sich mit dem Thema “Neues Arbeiten” beschäftigen möchte?

Marlen: Es gibt unfassbar viele Feuilletons, Wirtschaftsteile und Sonderausgaben der großen Medienhäuser – und natürlich auch unsere Online-Dokumentationsreihe – aber das Anlesen von Wissen kann immer nur ein Anfang sein. Es geht eben nicht darum, sich beschallen zu lassen, sondern dass man sich selbst ausprobiert und engagiert. Wir müssen uns immer wieder neu erfinden.

Wir dürfen das Lernen nicht als einmaliges Event verstehen und Verantwortung übernehmen, um eine wünschenswerte Zukunft der Arbeit zu gestalten. Viele Menschen verfallen dem Technologie-Determinismus und denken, dass die Zukunft in einem gewissen Rahmen vorgegeben ist. Wir glauben jedoch, dass es verschiedene Zukünfte gibt: Wir müssen sie nur gestalten.

Und was macht ihr persönlich für Euer Arbeiten jetzt mit Euren Erkenntnissen?

Finn: Wir haben das Projekt als ein Expeditions-Team gestartet, das sich auf die Suche nach Lösungen begeben hat. Dabei haben wir viele beeindruckende Ansätze auf der ganzen Welt entdeckt. Die Expedition ist für uns damit aber noch lange nicht vorbei, sondern wir wollen sie noch weiter vorantreiben. Doch neben dem Verbreiten unserer Erkenntnisse in unseren Filmen, auf Konferenzen oder in Ausstellungen haben wir begonnen eigene Lösungen zu entwickeln, um die Zukunft der Arbeit mitzugestalten. Damit werden die Geschichten und das Wissen, dass wir auf unserer Reise gesammelt haben zu unserer Arbeit. Im nächsten Schritt werden wir uns vom Entdecker zu den Gestaltern unserer eigenen Arbeitswelt entwickeln.


Und dann kommt unsere obligatorische Frage: findet Ihr, dass Ihr ein Enfants Terribles seid? Und wenn ja, wieso? Und was braucht es, um eins zu sein?

Marlen & Finn: In dem Sinne, wie ihr es versteht: auf jeden Fall. Schließlich geht es bei Euch ja auch darum, Menschen zu aktiven Gestaltern ihrer Umwelt anzuregen. Gerade in Umbruchphasen braucht es Individuen, Kollektive, Gemeinschaften, die den Status Quo hinterfragen, die den Blick auf neue Perspektiven und alternative Szenarien öffnen, den Ist-Zustand brechen. Dafür braucht es vor allem, das Wissen darum, dass ich selbst gestalten kann und somit Selbstwirksamkeit, Neugierde, ein wenig Entdeckergeist und gewiss auch die Freiheit, diesen Neigungen zu folgen.

Marlen Klaws begann im Juli 2017 gemeinsam mit einem jungen Team, die menschliche Zukunft der Arbeit rund um den Globus zu erkunden. Zuvor arbeitete sie unter anderem für den Global Solutions Summit, das European Innovation Hub und Jugend Rettet. Sie studierte Politikwissenschaft an der Universität Freiburg und der Universität Amsterdam, Internationale Beziehungen an der Freien Universität Berlin und der Humboldt Universität zu Berlin sowie Design Thinking an der d.school.

Finn Köhler hat Journalismus und Dokumentarfilm in Hamburg und New York studiert. Er ist ein Verfechter des konstruktiven Journalismus und war unter anderem für den Stern als Redakteur tätig, bevor er begann, die menschlichen Zukunft der Arbeit mit der Kamera zu ergründen.

Und wer Teil 2 der Dokumentation über einen wunderbaren New Work-Ort in Aarhus, Dänemark sehen will, der kann das hier tun.

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