»New Work? New Words!«

  • 27.03.2019
  • von Gastautor*in
Wie aus Arbeitgebenden plötzlich Arbeitnehmende werden könnten. Ein Aufruf, die eigene Sprache zu hinterfragen ...
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Wie Sprache auf unser Denken und Handeln wirkt, wird wieder viel diskutiert, vor allem im Hinblick auf eine gendergerechte Sprache. Gegner*innen einer Sprache, die alle Geschlechter berücksichtigt, empfinden die Diskussion als “Gedöns“ („Wir haben doch nun wirklich andere Probleme“), fühlen sich durch Gendersternchen und differenzierte Anrede in ihrem ästhetischen Empfinden gestört oder sehen gar die gesellschaftliche Ordnung ernsthaft in Gefahr. In der Diskussion um die Sprache zeigt sich aber auch ihre geballte Kraft. Es wird beleidigt, diffamiert, gedroht – kurz: verbal wild um sich geschossen. Und das ausgerechnet von denen, die der Beschäftigung mit Sprache ihre Relevanz absprechen.

Sprache hält uns den Spiegel vor. Sie ist ein Indikator für den Zustand unserer Gesellschaft. In Hate-Speech und Shitstorms zeigt sich die menschliche Gedankenwelt ungefiltert in ihrer ganzen Härte. Es geht um Macht. Macht, die sich auch über Sprachhoheit manifestiert. Wie wir miteinander reden beeinflusst, wie wir miteinander umgehen. Sprache wirkt aber auch in die andere Richtung: Sie formt unsere Gedanken und damit die Realität, wie wir sie wahrnehmen und uns in ihr verhalten.

Einen Gedanken einzupflanzen ist vergleichsweise einfach (Denken Sie jetzt nicht an den rosafarbenen Elefanten!); ihn loszuwerden gestaltet sich weitaus schwieriger. Während wir das rosa Tier vielleicht noch relativ schnell aus dem Kopf bekommen, können Gedanken, die uns über einen langen Zeitraum „eingeimpft“ wurden, weitreichende Folgen haben. Ein Kind, dem immer kommuniziert wurde, es sei nicht gut genug, wird diesen Glaubenssatz auch als erwachsener Mensch bei allem, was er oder sie tut als Filter anwenden und seine oder ihre Handlungen daran ausrichten – ob bei der Jobsuche oder in der Beziehung mit anderen Menschen.

Veränderungen – ob auf individueller Ebene oder gesamtgesellschaftlich – müssen sich daher immer auch auf sprachlicher Ebene vollziehen. Es ist kein Zufall, dass jede Woche neue Dankbarkeitsjournale und Anleitungen zum positiven Denken auftauchen, während sich in den sozialen Medien (oder: an jeder beliebigen Berliner Kreuzung an einem Montagmorgen) die Leute verbal die Köpfe einhauen. Und auch auf Unternehmensebene setzt stellenweise die Erkenntnis ein, dass Neues Arbeiten vor allem bedeutet, neue Wege zu finden, miteinander zu reden. Eine neue Unternehmenssprache zu entwickeln, wenn man so will. New Words for New Work.

Photo by Kyle Glenn on Unsplash

Um einen Eindruck vom kommunikativen Ist-Zustand in den meisten Unternehmen zu bekommen, genügt ein Blick in einen Standard-Arbeitsvertrag. Hier wird aus dem Unternehmen ein „Arbeitgeber“, aus einem Menschen ein „Arbeitnehmer“.* Diese Bezeichnungen geben dem Arbeitsverhältnis nicht nur einen formalen, juristischen Rahmen – sie wirken auch inhaltlich und weisen beiden ihren Stand im Unternehmen zu: der Arbeitgeber als der, der gibt, bestimmt, kontrolliert und folglich auch in der Position ist, Arbeit wieder wegzunehmen. Er hat die Fäden in der Hand, hat Macht. Auf der anderen Seite der „Arbeitnehmer“ als Empfangender, der das “Geschenk der Arbeit“ bekommt, ein Geschenk auf Zeit, das er behalten darf, so lange er tut, was von ihm verlangt wird. Der jederzeit Angst haben muss, es wieder zu verlieren.

„Der Arbeitnehmer wird als….eingestellt und vor allem mit folgenden Aufgaben beschäftigt: …. Er verpflichtet sich, auch andere zumutbare Aufgaben an einem anderen Ort auszuführen, die seinen Vorkenntnissen und Fähigkeiten entsprechen.“

Wer Arbeit nimmt, ist qua Vertrag passiv. Er wird eingestellt und beschäftigt. Womit, entscheidet er dabei nicht selbst, sondern es wird für ihn entschieden – vom Arbeitgebenden.

Arbeitsverträge wie dieser sind Teil des Betriebssystems von Unternehmen. Sie legen den Rahmen fest, innerhalb dessen alles passiert: Wer darf gestalten? Wer mitentscheiden? Wer führt aus? Wer kontrolliert? Wer muss wen um Erlaubnis fragen usw. Kurz: Sie definieren Machtgefüge und Einflusssphären. Damit wirken sie nicht nur auf die Prozesse in der Organisation ein, sondern auch auf die menschliche Kultur.

Wie eng diese Kultur an unsere Sprache gekoppelt ist, zeigt sich, wenn wir die Zuschreibungen umdrehen: Wer gibt hier eigentlich wem und wer nimmt hier eigentlich von wem? Sind es nicht die Menschen, die für eine Organisation arbeiten, die „Arbeit geben“ – ihre Talente, ihre Zeit, ihre Leidenschaft, ihre Kraft? Und sind es nicht Unternehmen, die diese Arbeit „empfangen“, die das “Geschenk“ bekommen, dass Menschen ihre wertvollsten Ressourcen in den Dienst der Organisation stellen?

Dass es höchste Zeit für einen Neustart der Betriebssysteme in Unternehmen ist, haben viele mittlerweile erkannt. Dieser Neustart darf sich aber nicht nur auf methodischer Ebene vollziehen (Tools, Tools, Tools), er muss sich vor allem auf kultureller Ebene vollziehen – und hier ist es entscheidend, wie wir miteinander sprechen. Lera Boroditsky, Professorin für Sprache und Kognition, erinnert uns hier in ihrem TED-Talk daran, wie erfinderisch und anpassungsfähig der menschliche Verstand ist und dass Sprache ein lebendiges Wesen ist, das sich an den menschlichen Bedürfnissen orientieren sollte. Sprich: Es liegt in unserer Hand, wie wir Kommunikation gestalten und welche Worte wir wählen.

In der VUCA-Welt verschieben sich Bedürfnisse merklich – und das sowohl auf Seite der Unternehmen, aber auch bei denen, die ihre Arbeitskraft zur Verfügung stellen. Kreative Menschen, die sich ihrer Gestaltungsfähigkeit bewusst sind, sind nicht mehr gewillt, einfach nur eingestellt und beschäftigt zu werden. Umgekehrt merken Organisationen, dass sie mit dem Prinzip „Planen und Kontrollieren“ an ihre Grenzen stoßen. Der viel diskutierte Fachkräftemangel steht auch für sich ändernde Machtverhältnisse. Menschen mit IT-Kenntnissen sind längst nicht mehr in der Arbeitnehmerrolle. Sie entscheiden selbst, unter welchen Voraussetzungen sie ihre Zeit und Kenntnisse zur Verfügung stellen. Sie sind – wenn man den Begriff konsequent denkt – die Arbeitgebenden von heute.

Was wohl passieren würde, wenn wir beschlössen, die Begrifflichkeiten einfach umzukehren und Arbeitsverträge gänzlich neu schrieben?

„Das Unternehmen XY, im Folgenden “Arbeitnehmender“ genannt, und Maxi Muster, im Folgenden “Arbeitgebende“ genannt, einigen sich auf Folgendes: Der Arbeitnehmer stellt der Arbeitgebenden die nötigen Informationen, Werkzeuge und Räume zur Verfügung, die die Arbeitgebende braucht, um gut und entsprechend ihrer Bedürfnisse arbeiten zu können. Die Aufgaben der Arbeitgebenden ergeben sich aus ihrer Rolle. Diese haben Arbeitgebende und Arbeitnehmende in einem kollaborativen Prozess erarbeitet und zum Beginn der Zusammenarbeit wie folgt definiert: …..“

Photo by Ben Rosett on Unsplash

Der Aufschrei, der durch die Unternehmenswelt ginge, wäre vermutlich groß: All die Verträge und Formulare, die umgeschrieben werden müssten! All die Positionen in Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbänden, die es neu zu benennen gälte! Die Verwirrung, das Chaos, der Knoten im Kopf: Wer bin ich jetzt nochmal?

Kleines Wortspiel, große Wirkung. Die Macht der Sprache und ihr Einfluss auf unser Handeln sind enorm. Lera Boroditsky spricht in dem Zusammenhang von neuen kognitiven Räumen, die Sprache eröffnen kann. Ein erster Schritt für Unternehmen als „Arbeitgeber“ (nach bisherigem Verständnis) in Richtung dieser Räume wäre, sich selbst zu fragen:

• Warum denke und handle ich so, wie ich es derzeit tue?
• Wie könnte ich vielleicht anders denken und handeln?
• Und: Was für Gedanken möchte ich eigentlich hervorbringen?

Neue Prozesse und kulturelle Veränderungen, die wir umsetzen wollen, können nicht mit einem Betriebssystem nach altem Paradigma zusammengehen, schreibt Brian Robertson in „Holacracy“.

Wir brauchen einen neuen Code. Der erste Weg dorthin ist eine Sprache, die nicht dazu dient, zu teilen, sondern Verbundenheit zu schaffen.


*Im folgenden Abschnitt wird nur die männliche Form verwendet, um die Komplexität zu reduzieren.

Dies ist ein Artikel unserer Gastautorin Katja Thiede, der Mit-Gründerin und Geschäftsführerin von juggleHUB Coworking. Sie ist außerdem freie Autorin und Texterin mit Fokus auf Kommunikation in einer sich wandelnden Arbeitswelt.
Mehr über ihren kinder- und familienfreundlichen Coworking-Space findet ihr hier.

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