»New Work needs Inner Work«

  • 10.07.2019
  • von Marion King
Ein Interview mit Bettina Rollow über Haltungswandel, Kompetenzentwicklung und Kickertische als schönes Accessoire ...
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Hallo Bettina, Joana Breidenbach und du, ihr habt gerade das Buch „New Work needs Inner Work“ veröffentlicht. Wie kam die Buchidee zustande? Und wie habt ihr gemeinsam daran konzipiert und geschrieben? Habt ihr den Schreib-Prozess auch anhand eurer New Work-Arbeitsprinzipien gestaltet?

Bettina Rollow: Joana und ich beschäftigen uns bereits seit 2014 mit dem Thema „New Work“, sie als Gründerin von Betterplace und ich in meiner Arbeit als Organisationsentwicklerin. Im Laufe der Zeit haben wir gemerkt, wie das Thema immer mehr Fahrt aufgenommen hat. Und dass wir oft auf Veranstaltungen und in Unternehmen mit unserem Verständnis „New Work needs Inner Work“ viel Inspiration ausgelöst haben, und oft damit auch alleine unterwegs waren. Anfang 2018 hatten wir das Gefühl: Ok, jetzt müssen wir unser Verständnis und unsere Methode aufschreiben, um sie mit einem breiteren Kreis an Menschen zu teilen.

Wir haben etwa ein Jahr gemeinsam geschrieben – ich aus der mehr methodischen Sichtweise und Joana aus der unternehmerischen Anwenderperspektive. Wir sind getreu unserem Buch kompetenzbasiert vorgegangen: Ich schreibe sehr akademisch und komplex. Joana verfügt über das Talent klar, aktiv und direkt zu formulieren und über Beispiele dem Text Lebendigkeit zu verleihen. Für mich ist Präzision im Inhalt die oberste Priorität, Joana legt sehr viel Wert auf gutes Design. So haben wir uns die Arbeitsschritte aufgeteilt und dem anderen in seiner jeweiligen Kompetenz die Führung übergeben.

Was ist eure Idee oder Definition von „New Work“? Und wie geht es euch damit, dass jetzt immer mehr Beratungen und Unternehmen auf diesen Begriff aufspringen und mit den viel zitierten Maßnahmen wie Feelgood-Manager*innen oder Kickertischen versuchen, das “Richtige im Falschen” zu tun.

Bettina Rollow: Für uns ist New Work jeder Schritt einer Organisation, in der sie die äußere Struktur (Hierarchien, Standardprozesse, Regeln etc.) reduziert und die innere Struktur (Kommunikations-, Konflikt- und Reflexionskompetenzen) aufbaut. D. h. wo wir anfangen flexibler zusammenzuarbeiten und immer mehr Orientierung, Fokus, Führung und Sicherheit über Kommunikation und Authentizität im Umgang miteinander abzubilden.

New Work ist für uns damit primär ein Haltungswandel und eine Kompetenzentwicklung in Unternehmen. Kickertische sind schöne Accessoires, um die Teamatmosphäre zu stärken. Aber das wären sie auch, wenn wir in einer funktionalen Hierarchie verbleiben. 

Was ist eure Definition von “Inner Work”?

Bettina Rollow: Inner Work ist für uns der Prozess, in dem wir in der oben beschriebenen inneren Struktur immer mehr Kompetenz und Reife aufbauen.

Wenn wir weniger definierte Rollen, Hierarchien und Standardprozesse nutzen, um unsere Zusammenarbeit zu managen, dann müssen wir Orientierung und Sicherheit über Kommunikation effizient gestalten können.

Das bedeutet, dass wir uns als Individuen selbst gut kennen, wissen was wir wollen und was wir brauchen und uns dazu mit anderen auseinandersetzen können. Wir müssen Feedback- und Konfliktfähig sein und – weil wir weniger oder gar keine Hierarchie nutzen – brauchen wir eine gemeinsame Fähigkeit in Teams, unsere Zusammenarbeit zu reflektieren und das große Ganze im Blick zu haben: Wie läuft es? Wo stecken wir fest? Wo müssen wir besser werden? Das nennen wir Metareflexionskompetenz. Um diese Kompetenzen weiter aufzubauen und als Team gemeinsam zu reifen, braucht es Inner Work.

“Work” ist ja schon wieder “Arbeiten”. Geht es vielleicht nicht auch manchmal auch um Loslassen, Seinlassen, Nichts tun, um sich zu entwickeln, mehr zu sich zu kommen? Ist “Inner Work” als Selbstoptimierung zu verstehen?

Bettina Rollow: Selbstoptimierung kann so etwas wie ein Nebenprodukt eines New Work Prozesses sein. Ich erlebe in vielen Teams, dass der Kompetenzaufbau des Inner Work-Teils bei den Beteiligten zu vielen schönen und neuen Selbsterkenntnissen führt, die sich dann auch in ihr persönliches Leben übertragen lassen.

Und gleichzeitig ist Inner Work in einem New Work Prozess auch immer der Weg, der uns selbstorganisiertes Zusammenarbeiten ermöglicht.

Dass heisst, Selbstreflexion und Gruppenkommunikation sind kein Selbstzweck, sondern das Werkzeug, was uns flüssigeres und kompetenzbasiertes Zusammenarbeiten ermöglicht.

Der Untertitel des Buches ist „Ein Handbuch für Unternehmen auf dem Weg zur Selbstorganisation“. Was ist Eure Definition von „Selbstorganisation“? Kann jedes Unternehmen selbstorganisiert arbeiten? Und wie ist der beste Weg dahin?

Bettina Rollow: Wir verstehen Selbstorganisation nicht als ein fixiertes Konzept der Zusammenarbeit, sondern eine Vielfalt an Abstufungen von Zusammenarbeitsmodellen, in denen Führung und Entscheidungsmandat dahin transferiert wird, wo die Kompetenz im Team tatsächlich ist. Wo wir diese Führung temporär über eben diese Kompetenzhierarchien gestalten. Wo Menschen eine co-kreative Dialogkultur aufbauen, in der Authentizität als genauso relevante Information gewertet wird wie Fachwissen. Und wo Transparenz und Vertrauen Grundqualitäten sind. Wie das dann aussieht, kann ganz unterschiedliche Formen annehmen.

Eigentlich gibt es ja keine Blaupause oder Best Practice für New Work – finden wir. Jedes Team, jedes Unternehmen muss für sich herausfinden, was am besten passt, wie ein gutes Vorgehen ist etc. Das braucht es einen offenen und ehrlichen Umgang mit der eigenen Situation und den tatsächlichen Problemen oder Auslösern, eine Klarheit über die Motivation für die Veränderung und natürlich über die Vision oder Ziele. Für uns ist die Best Practice sozusagen “Reflexion Reflexion Reflexion”. Wie seht ihr das?

Genauso 😊

Ihr habt ja vor allem aus der eigenen Erfahrung im Transformationsprozess von betterplace geschrieben. Was sind die 3 wichtigsten Learnings aus diesem Prozess?

Bettina Rollow: Das wichtigste Learning war sicherlich, nicht über eine Veränderung der äußeren Struktur zu arbeiten, sondern von innen nach außen. D. h. mit dem Team in Bezug auf Führung und Zusammenarbeit herauszufinden, wer sie sind, was sie wollen, was sie brauchen. Und dann dazu Prozesse zu gestalten, die ihren Werten und Bedürfnissen entsprechen und gleichzeitig ermöglichen, das Produkt um das es geht, erfolgreich umzusetzen.

Als weiteres Learning wurde uns sehr deutlich, dass die Frage danach, wie Menschen sich Sicherheit am Arbeitsplatz gestalten, eine besondere Aufmerksamkeit braucht.

Für viele Menschen entsteht ein großer Teil ihres Sicherheitsgefühls über Strukturen und Regeln. Wenn wir diese in New Work reduzieren, dann entsteht natürlich die Frage: Wo kommt das Sicherheitsgefühl dann her?

Und darauf müssen wir dann gemeinsam eine Antwort finden.

Und zu guter Letzt haben wir gelernt, dass ein New Work-Prozess Zeit braucht, im Prinzip auch ein fortlaufender Updateprozess ist und damit immer ein Gefühl von andauernder Veränderung bleibt. Und das man sowas mögen muss.

Was denkt ihr über die Frage von “New Business” – also Wirtschaft ganz anders zu gestalten; z.B. im Sinne der Gemeinwohlökonomie?

Bettina Rollow: Für mich ist das eine Konsequenz aus der oben beschriebenen Haltungsänderung, die mit New Work einhergeht. Ich beobachte, dass die selbstorganisierten Teams sich nach und nach immer mehr der Frage nach Sinn und Purpose zuwenden und nach holistischen Modellen und Umsetzungen suchen. Sie verlassen damit die linearen Zusammenhänge, die viele unsere Wertschöpfungsketten prägen und suchen nach neuen multidimensionalen Geschäftsmodellen.

Der Vorteil von New Work ist ja unter anderem, dass wir auf Organisationsebene anfangen, Komplexität nicht mehr zu kontrollieren, sondern mittels Kompetenzhierarchien und einer co-kreativen Dialogqualität zu navigieren. Damit erforschen wir gleichzeitig, wie wir gemeinsam in komplexen Zusammenhängen einen Fokus halten und Projekte umsetzen, ohne die Komplexität reduzieren zu müssen. Laloux beschreibt das in seinem Buch Reinventing Organisations als evolutionary purpose. Ich glaube daraus werden ganz neue Businessmodelle entstehen.


Bettina Rollow arbeitet freiberuflich als Organisations- und Teamentwicklerin. Ihre Schwerpunkte sind neue Organisations-, Zusammenarbeits- und Führungsformen im Rahmen von New Work. Ihrer Erfahrungen hat sie in Ihrem neuen Buch: New Work needs Inner Work. Ein Handbuch für Unternehmen auf dem Weg zur Selbstorganisation. Bettina ist Mitbegründerin des Sense and Think-Tanks Das Dach.  
Joana und Bettina haben passend zu ihrem Buch einen Online-Kurs erstellt: The Future of Work needs Inner Work. In 36 Videos, zusätzlichen Materialien für Selbst-Reflextionen und Übungen im (virtuellen) Team, sowie einer Facebook-Gruppe für den persönlichen Austausch, vermitteln sie die Kompetenzen, die es uns ermöglichen, ganzheitlicher und wirksamer zu arbeiten. Finden wir toll, hier geht es zu den Kursinfos und der Anmeldung!


Eine Anmerkung zu unseren Buchempfehlungen: wir sind sehr dafür, dass Bücher beim kleinen Buchladen um die Ecke oder auch bei Shops wie Buch7 (die mit 75% ihres Gewinns soziale Projekte unterstützen) gekauft werden. Wir benutzen hier aus praktischen Gründen Links zum Amazon-Shop, weil wir dann u.a. die Buchtitel im Rahmen des Partnerprogramms zeigen dürfen. Das heisst noch nicht, dass Ihr darüber auch bestellen müsst, aber wenn Ihr das tut, verwenden wir die Einnahmen daraus (5% auf jede Bestellung) für die Community-Arbeit von LES ENFANTS TERRIBLES.

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