»Network Thinking«

  • 12.11.2019
  • von Marion King
Ein Interview mit Prof. Ulrich Weinberg von der School of Design Thinking am Hasso-Plattner-Institut ...
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Brockhaus ist tot – es lebe das Network Thinking! Prof. Ulrich Weinberg ist Leiter der School of Design Thinking am Hasso-Plattner-Institut Potsdam. In seinem Buch „Network Thinking“ macht er den Sprung von einem enzyklopädischen Verständnis von Wissen hin zu einem vernetzten Denken sichtbar. Wie das wirkt und was es braucht, darüber haben wir mit ihm gesprochen.

Was bitte ist der Brockhaus-Modus?

Als “Brockhaus-Modus” bezeichne ich die Art und Weise, wie wir in analogen Zeiten zu Denken und zu Handeln gelernt haben. Auf der Suche nach einer einfachen Metapher für den Paradigmenwechsel, den wir gerade erleben mit Industrie 4.0, Digitaler Transformation oder wie immer wir es bezeichnen wollen, bin ich zuhause vor meinem Bücherregal fündig geworden. Beim Blick auf die 20 Buchrücken meines Brockhaus und die dicke Staubschicht darauf, hatte ich das Muster des 19. bzw. 20. Jahrhunderts vor Augen, das Muster, das gerade ersetzt wird durch ein neues Muster der Vernetzung.

Warum hat diese Arbeits- und Denkmethode ausgedient?

Der Brockhaus selbst, seit ca. 200 Jahren DIE renommierte Wissenssammlung für Alltagswissen, wird seit 2014 nicht mehr gedruckt. Warum? Wissens-Aggregation und -Suche geschieht in der digitalen vernetzten Welt nicht mehr von A-Z, getrennt in separaten Büchern verpackt, sondern orientiert sich an Suchbegriffen auf Online-Plattformen wie Wikipedia oder Google. Die Verknüpfungen werden immer wichtiger als das Trennende, und das nicht nur bei der Wissens-Aggregation. Auch die Abteilungs-Silos, die noch den größten Teil der Unternehmensstrukturen definieren, verlieren in der vernetzten Welt immer mehr an Bedeutung, ja sie erweisen sich sogar als zunehmend hinderlich.

Design Thinking kennt man bisher eher als kreativen Ansatz, um neue Ideen und Produkte zu entwickeln. Für dich birgt es aber viel mehr Potenzial. Wie denkst du Design Thinking größer?

Als wir 2007 mit der School of Design Thinking am HPI gestartet sind, standen in der Tat Produkt- und Service-Innovationen im Zentrum des Interesses. Wir haben seither viele Unternehmen und Organisation dabei unterstützt, bessere, stärker an Nutzerbedürfnissen orientierte Produkte und Dienstleistungen in den Markt zu bringen. Mehr als 1.000 Studierende sind bisher durch unseren Basic- und Advanced-Track gelaufen und haben in zwei Semestern gelernt, wie man mit Kollegen aus völlig anderen Disziplinen zusammenarbeitet, wie man gemeinsam zu kreativen Ideen kommt und diese schnell als Prototypen anfassbar macht und sie haben erfahren, wie einen die richtige Arbeitsumgebung dabei unterstützen kann. Wir haben damit einen Prototypen für die Lernwelt des 21. Jahrhunderts geschaffen, der orientiert ist am Muster der Vernetzung, nicht mehr am Brockhaus-Muster. Es sind diese drei Fragen, die wir uns auch in der Arbeitswelt heute neu stellen müssen:

  • Wie arbeite ich?
  • Wo arbeite ich?
  • Welche Arbeitsmethode nutze ich?

Und wenn man diese Fragen so beantwortet wie wir an der D-School, nämlich:

  • Gemeinsam – im Team, mit größtmöglicher Diversität!
  • In flexiblen, variablen, leicht veränderbaren Arbeitsumgebungen!
  • In Schleifen, mit Prototypen und nah am Menschen!

dann entsteht eine Arbeitskultur, wie sie für die 4. industrielle Revolution nötig ist: flexibler, vernetzter, dynamischer, selbstbestimmter, weniger Hierarchie-orientiert. Ich spreche daher mittlerweile gerne von Design Thinking 4.0, der kulturellen Dimension von Industrie 4.0.

Als Network Thinking soll Design Thinking alte hierarchische Unternehmensstrukturen aufbrechen. Wie kann das in der Praxis funktionieren?

Vernetzt zu denken und zu handeln, Network Thinking, müssen wir gerade mühsam lernen, da die klassischen Bildungsapparate uns noch immer zu einzelkämpfenden Spezialisten machen und Teamarbeit, Kollaboration und ganzheitliches Denken nur minimal entwickelt sind. Nach einem Semester an der D-School haben unsere Studierenden allerdings erfahren, dass der Team-of-Teams-Modus, den wir dort jeden Tag leben, deutlich effizienter, ganzheitlicher, nachhaltiger und letztlich erfüllender ist. Und sie haben mit Design Thinking das passende Instrumentarium kennengelernt, das sie nicht mehr aus der Hand geben wollen. Nicht von ungefähr haben wir eine hohe Gründungsrate von Unternehmen – jedes Jahr entstehen etwa zehn Startups aus dem D-School-Programm. Wir müssen uns mehr dieser geschützten „Räume des Scheiterns“ erlauben, in denen neue Denk- und Handlungsweisen ausprobiert werden können.

Was ist deine Idee von “New Work”?

Das “Neue Arbeiten” hat viele Facetten. Für mich ist die wichtigste, dass sich Lernen und Arbeiten immer stärker durchmischen werden. Die altbekannten Lernperioden (Schule, Ausbildung, Studium), die dann von der Arbeitsperiode abgelöst werden, lassen sich so nicht mehr aufrecht halten. Die Bildungseinrichtungen müssen uns auf einen lebenslangen Lernprozess einstellen und die Unternehmen müssen sich auch als Orte des Lernens begreifen. Die HPI D-School ist ein schönes Beispiel für die Aufhebung der Trennung von Lernen und Arbeiten: für unsere Studierenden ist es eine hochintensive Lernphase und für unsere Projektpartner ist es Arbeitszeit.

Du hast jetzt gemeinsam mit deiner Kollegin Dr. Claudia Nicolai den Online-Kurs „Beyond Brockhaus Thinking: With Design Thinking to a Networked Culture“ entwickelt. Was beinhaltet das Webinar und wer sollte es nutzen?

Unser Online-Kurs richtet sich in erster Linie an Entscheidungsträger in Unternehmen und Organisationen, die sich gerade auf den Weg machen, agilere Methoden einzuführen und dabei auf eine Reihe von methodischen Ansätzen stoßen. Wir stellen Design Thinking als einen ganzheitlichen Ansatz vor, um aus tradierten analogen Brockhaus-Strukturen zu einer vernetzten Denk- und Handlungsweise zu gelangen. Der Kurs ist von Mai bis Juni live gewesen, nun aber im Archiv-Modus auf der HPI-MOOC-Plattform OpenHPI immer noch kostenlos zu besuchen.

Wir haben uns bei der re:publica19 getroffen. Ich hatte das Gefühl, dass es dort eine Aufbruchstimmung gab, ein “Wir schaffen das”. Ging es dir auch so?

Ja, ich hatte auch das Gefühl, dass die digitalen Themen dabei sind, sich aus der Nerd-Ecke zu bewegen und auch politisch aufgegriffen werden. Besonders beeindruckt hat mich der Stand der Denkfabrik des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales, der ganz ohne Bundesadler auskam und mit einem sehr engagierten und prominent besetzten Programm besonders junge Leute zur Diskussion angeregt hat.


Prof. Ulrich Weinberg ist seit 2007 Leiter der School of Design Thinking am Hasso-Plattner-Institut in Potsdam. Er gründete mehrere Unternehmen mit Fokus auf 3D-Animation, Simulation, Crossmedia-Projekte und Computerspiele. 1994 wurde er als Professor an die Filmhochschule in Babelsberg berufen und führte als Vizepräsident vier Jahre lang die Hochschule in die Digitalisierung. Seit 2004 unterrichtet er als Gastprofessor regelmäßig an der Communication University of China CUC in Peking und ist dort seit 2014 Ehrendirektor des Design Thinking Innovation Centers. 2017 zählte ihn das Handelsblatt zu den 100 Top-Innovatoren in Deutschland. Weinberg hat 2017 die Global Design Thinking Alliance GDTA mitgegründet und ist auch deren ehrenamtlicher Vorsitzender. 

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