»Losfahren ist besonders!«

  • 31.10.2018
  • von Marion King
Ein Interview mit Stephanie Kurz, der Mit-Gründerin von Stan Hema, über 2 Monate Auszeit, einen VW-Bus, einen Dackel und Selbstorganisation ...
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Wir haben ein Interview mit Stephanie Kurz geführt – zum einen, weil sie gerade für 2 Monate alleine mit Hund unterwegs war und zum anderen, weil sie ihr Unternehmen zusammen mit ihren Gründer-KollegInnen auf Selbstorganisation umgestellt hat. Und ausserdem, weil sie überhaupt eine tolle Frau und ein Enfant Terrible ist.
Stephanie ist die Mitgründerin von Stan Hema, einer Agentur für Markenentwicklung. Stan Hema arbeitet seit 10 Jahren mit ca. 25 Mitarbeitern für Auftraggeber aus Kultur und nachhaltiger Industrie. Stephanie ist dort verantwortlich für den Bereich strategische Beratung. Privat hat sie einen Mann, drei Jungs (19, 17 und 8 Jahre), einen Dackel und einen VW-Bus.

Copyright Stephanie Kurz


Du kommst gerade von einer 2monatigen Auszeit zurück. Erzähl’ uns, was du genau gemacht hast, wo und wie du unterwegs warst, wer dein Begleiter war und warum du das vor allem gemacht hast.

Die Auszeit hat sogar drei Monate gedauert! Die ersten beiden Monate bin ich mit einem alten VW-Camper um die Ostsee gefahren und den dritten Monat war ich am französischen Atlantik, in Cap Ferret. Da ich den letzten Monat mit meiner Familie einfach am Strand rumhing und Fisch gegrillt habe, erzähle ich ausführlicher von den ersten beiden.

Den Entschluss, mal eine Pause zu machen, hab ich letztes Jahr gefasst. Ich arbeite seit 20 Jahren ohne Pause, davon 10 Jahre in meiner eigenen Agentur und irgendwie hatte ich das dringende Gefühl, dass ich mal aussteigen muss. Alleinsein. Nichts müssen. Frei sein. Also hab ich mir einen grünen Bus mit Aufstelldach, 20 Jahre alt, 300.000 km gekauft – geputzt, ausgestattet mit dem Notwendigsten – kaum Kleider, viele Bücher und kein Plan.

Am 1. Mai hab ich mich mit meinem Dackel Fritz und ohne meine Familie in den Bus gesetzt und bin zu zwei alten Schulfreundinnen nach Hamburg gefahren. Dort hab ich die erste Nacht vor deren Tür geschlafen. Am nächsten Morgen ging’s los – immer der Ostsee nach, immer an der Küste entlang. Dänemark (dänische Südsee!), Schweden, Finnland, Estland (Hiiumaa, Saaremaa, Muhu!), Lettland, schnell durch Litauen nach Polen (Auschwitz!) zurück an die See (Danzig!) nach Berlin.
7.300 Kilometer Glück! Keine Panne, keine doofen Begegnungen, keine Angst, kein Heimweh.

Copyright Stephanie Kurz

Was waren deine wichtigsten Momente auf der Reise? Was hat dich bewegt, berührt? Und wie war das so (fast) ganz alleine mit sich selbst unterwegs zu sein?

Das Losfahren war besonders! Ich war aufgeregt, hab Abschied genommen und wusste nicht, was passiert. Ich hab mir alles erlaubt … vielleicht komme ich nie zurück? Vielleicht mach ich beruflich was anderes? Vielleicht schaff ich’s gar nicht um die Ostsee, sondern bleib in Dänemark stehen? Vielleicht hab ich tierische Sehnsucht nach meiner Familie? Oder nach dem Büro? Alles war möglich.

Bewegt hat mich die Natur. Und die Tiere. Nicht nur Fritz, mein treuer Begleiter. Aber der auch – wir waren so nah wie die letzten 11 Jahre nicht. War wichtig, dass er dabei war. Aber jeder hat gemacht, was er wollte, Abstimmung nicht nötig. Ich war immer nur kurz in Städten, dann gut essen und gleich wieder zurück in die Natur. Ich hab selten auf Campingplätzen geschlafen, fast nur am Wasser, wild. Schön war die Stille. Und das Alleinesein.

Andere Reisende hab ich kaum getroffen … Im Mai und Juni sind nur Rentner auf dem Weg zum Nordkap mit riesigen weißen Wohnmobilen unterwegs und die stehen auf Campingplätzen. Wenn sich doch mal ein Mensch genähert hat, hab ich gelesen. Ich wollte nicht reden, erzählen, fragen.

Was war deine Haupterkenntnis oder dein Hauptlearning fürs Arbeiten aus dieser Reise?

Bei mir sein. Auch beim Arbeiten. Dafür sorgen, dass es mir gut geht. Mich zurückziehen. Auch im Alltag, bei der Arbeit alleine sein. Mir war nicht bewusst, wie wichtig das für mich ist. Ich kann nur mit andern sein, wenn ich dazwischen auch alleine bin. Und das ist jetzt die große Herausforderung in meinem Leben: Im Büro 25 Leute um mich rum und zu Hause 4 Leute.

Und grundsätzlich weniger reden! Mehr zuhören. Das fällt mir nach der Reise viel leichter als vorher.

Wie war es am ersten Tag zurück im Büro? Was hast du (anders) gemacht?

Das war toll! Ich hab mich sehr aufs Büro und die Kollegen gefreut. Aber was, wenn die sich gar nicht auf mich freuen? Also, wenn es auch ohne mich läuft? Oder vielleicht sogar besser? Haben sich zum Glück alle auf mich gefreut. Auch die Auftraggeber.

Kurz was dazu: Dienstags kommen einige Freunde unserer älteren Jungs immer zu uns zum Abendessen. Und die haben mich gefragt, ob das nicht ein blödes Gefühl ist, dass die Familie und das Büro auch ohne mich funktionieren. Nein, es ist kein blödes Gefühl … es ist ein Gefühl von Freiheit.

Die ersten zwei Wochen zurück im Büro habe ich keine Projekte betreut. Ich war einfach im Büro und hab zugeschaut. Dabei sind mir viele Dinge aufgefallen, die wir anders machen können. Ich habe diese zwei Wochen als einen echten Luxus empfunden. Und das Büro hat auch davon profitiert.

Ihr seid ja seit einiger Zeit mit eurer Agentur in einem Veränderungsprozess und denkt sehr viel über Selbstorganisation nach. Was war der Auslöser dafür, wo steht ihr gerade und wie läuft der Prozess? Was sind die größten Herausforderungen und was hat euch und dir am meisten geholfen?

Der Auslöser zum Prozess war die Erkenntnis im Partner- bzw. Gründer-Kreis, dass wir die Agentur nicht zu viert in die Zukunft führen können. Bei Stan Hema arbeiten viele tolle Leute, denen wir Raum und Mitbestimmung geben wollten. Wir werden zwar immer erfahrener, aber auch immer älter. Wenn Stan Hema auch zukünftig erfolgreich sein will, dann müssen sich nachfolgende Generationen bei uns wohl fühlen. So haben wir angefangen über Struktur und Verantwortung nachzudenken.

Wir werden in diesem Prozess von The Dive begleitet. Und ich glaube, ohne die wären wir nicht da, wo wir sind oder hätten vielleicht sogar schon das Handtuch geworfen. Es ist toll alles umzukrempeln und die Früchte der Veränderung zu ernten. Es ist aber auch unglaublich mühsam und langsam Gewohntes zu verändern. Da ist es schon gut, wenn da jemand ist, der nachfragt und motiviert.

Der Prozess mit The Dive hat im Partnerkreis begonnen – also innerhalb der 4 GründerInnen. Es gab einige Konflikte – persönlich und was die Organisation der Agentur angeht – die wurden erstmal geklärt. Auf dieser Basis haben wir uns dann überlegt, wie unsere persönliche bzw. die Zukunft der Agentur aussehen soll. Genau zu diesem Zeitpunkt habe ich auch eine Auszeit bei Les Enfants Terrible gemacht. So etwa am Montag danach war klar, wir wollen die Agentur zu einem selbstorganisierten Unternehmen umbauen. Auftakt dazu war ein Workshop mit allen 25 KollegInnen ein ganzes Wochenende auf dem Land. Darauf folgten einige Tagesworkshops, die Gründunge eines Lotsenkreises und diverse selbstorganisierte Agentur-Tage zu relevanten Themen.

Aktuell denken wir darüber nach, wie wir die wirtschaftliche Verantwortung in die Organisation geben können, welche Strukturen es dafür braucht, ob wir feste Teams etablieren oder nicht.

Am meisten hilft mir bei der Veränderung der Austausch mit den Kollegen bei Stan Hema. Wie geht’s euch, wie geht’s mir? Was klappt gut, was nicht? Was kommt als nächstes? Eins nach dem andern … und das große Ziel immer vor Augen. Aber wir treffen uns auch mit befreundeten Büros, die im Prozess schon weiter sind und tauschen uns mit denen aus.

Was ist deine Definition von Selbstorganisation? Was findest du gut oder spannend daran? Und ist das für dich “New Work” – oder was ist dieser Begriff für dich?

Selbstorganisation bedeutet für mich, alle Fähigkeiten im Unternehmen für die Entwicklung der Organisation zu nutzen. Die Entwicklung der Organisation ist unser gemeinsames Projekt. Und nicht die alleinige Aufgabe der Partner. Wir suchen gemeinsam nach einer Form, die uns bestmöglich zusammen arbeiten und sein lässt. Und weil wir – nur wir – entscheiden, was richtig ist, können wir alles verändern, was wir wollen. Zu jeder Zeit.

Vor dem Prozess dachte ich immer, ich muss schlauer sein, als die andern. Jetzt kann ich gut sagen “Ich weiss es nicht”.

“New Work” heisst für mich auf der Suche zu sein. Und zwar immerfort. Und dabei nicht zu vergessen, dass Arbeiten ein Teil des Lebens ist und sich das gut anfühlen muss.

Was habt Ihr sehr konkret geändert – an der Arbeitsstruktur, an Eurer Zusammenarbeit? Und gibt es ein paar super praktische Workhacks, die Ihr macht?

Wir arbeiten fast nur noch in Kreisen. Bei internen und in Auftraggeber-Projekten. Jeder Kreis definiert Aufgaben und vergibt Rollen.Wir meeten nach bestimmten Regeln: Mit Agenda, mit Uhr, vorbereitet und pünktlich. Wir machen Check Ins und Check Outs. Wenn Projekte fertig sind, reflektieren wir und geben uns gegenseitig Feedback. Und wir lernen spannungsbasiert zu arbeiten … da üben wir noch.

Workhacks? Z. B. Slack, gegen die Mail-Flut. Oder Trello, zur Organisation der Projekte. Die Blaue Stunde, ein internes Format zur Weiterbildung (die Stans und Hemas erzählen was oder wir laden jemanden ein, der was erzählt). Oder der Agentur Tag, zur gemeinsamen Auseinandersetzung mit einem Thema.

Was waren denn die Reaktionen Eurer MitarbeiterInnen – und wie seid Ihr damit umgegangen?

Vor allem positiv! Und darüber haben wir uns gefreut. Es gab und gibt auf dem Weg schon den ein oder anderen Zweifler – den hören wir und setzen uns mit seinen Zweifeln auseinander. Und zwar nicht im Partner-Kreis, sondern mit allen KollegInnen. Aber da die Zweifler in der absoluten Minderheit sind, halten die Zweifel eigentlich nie lange an.

Hast du Vorbilder? Und wenn ja, welche?

Ich war da noch nie, ich kenne niemanden, der dort arbeitet, aber ich verfolge sie, finde toll, was sie machen und wie sie drüber reden: SYPartners.

Bist du ein Enfant Terrible? Und wenn ja, wieso? Und was braucht es, um eins zu sein?

Ja, klar! Weil ich ein Mädchen bin, das mit seinem Vater aufgewachsen ist. Weil ich einen Vater hatte, der eine schlechte Mutter war. Weil das Mädchen, das er erzogen hat, nie angepasst war. Weil aus dem Mädchen eine Frau geworden ist, die sich nie benachteiligt gefühlt hat. Weil ich auch als Frau nie angepasst war. Weil ich keine Angst habe. Vor nichts.

Was es braucht?

Na, Mut.

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