»agilität im check«

  • 02.09.2020
  • von Gastautor*in
Richard Pircher fasst in seinem Check zusammen, was Menschen und Unternehmen für agiles Arbeiten benötigen ...
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Wir sprachen bereits mit Richard Pircher über „Die „Krankheit“ Agilität … und wie sie agil geheilt werden kann“. Als Fortsetzung zu diesem Beitrag gibt es hier jetzt die Checkliste für die erfolgreiche Transformation. Check!

Seit 2001 das äußerst einflussreiche Manifesto for Agile Software Development veröffentlicht wurde, hat sich der Begriff “agil” nahezu verselbständigt. Die Grundgedanken des Manifests wurden mit verschiedenen Konzepten und Methoden auch auf andere als Softwareprojekte angewandt. Über Projekte hinausgehend werden ganze Organisationen agiler gestaltet. Gesteigerte Agilität entwickelte sich anscheinend sogar zu einem Muss für das Management.

Die Grundgedanken des Manifests für agile Softwareentwicklung von 2001 werden auf Projekte jeder Art und auf gesamte Organisationen mithilfe unterschiedlicher Ansätze angewandt und abgewandelt. Mittlerweile ist das Gebiet sehr ausdifferenziert und unübersichtlich. Es erscheint mir deshalb notwendig, diese Grundgedanken der Agilität den veränderten Anwendungsgebieten entsprechend zu aktualisieren.

Agilität aktuell ­­definiert

Agilität generell

  • Der Seinszweck (Purpose, angestrebte Wirkung) des Unternehmens / Teams / Projekts / der Rolle soll allen Beteiligten klar sein. Der Fokus liegt auf für die Kunden funktionierende Produkte.
  • Vertrauen in den Willen und die Fähigkeit der Menschen, sinnvoll wirksam zu werden
  • Selbstorganisation: Teams entscheiden autonom, wie sie die angestrebten Ziele bestmöglich erreichen können und schätzen den Zeit- und Ressourcenbedarf ab. Dafür benötigen Mitarbeiter und Teams die erforderlichen Kompetenzen und Rahmenbedingungen.
  • Wahrnehmen dessen was ist, ist wichtiger, als sich an vordefinierte Pläne zu klammern.
  • Flexibles Reagieren auf Änderungen, auch wenn es im Plan anders vorgesehen war
  • Fokus auf Interaktion zwischen Menschen, vor allem auch mit den Kunden
  • Reflexionsschleifen um aus Erfahrungen zu lernen und die Umsetzung verbessern zu können

Agile Projekte im Besonderen

  • Relativ kurze Umsetzungs- und Feedbackzyklen
  • Definition eines Zielfeldes, schrittweise Annäherung an ein bestmögliches Ergebnis für den Kunden innerhalb der gegebenen Rahmenbedingungen
  • Es wird ein „nachhaltiges Tempo“ angestrebt und Überstunden sollten dabei nur in Ausnahmefällen notwendig sein

Agile Organisationen (oder Organisationseinheiten) im besonderen

  • Entscheidungsmacht ist nicht an fixe Positionen bzw. Personen gebunden, sondern Entscheidungen werden flexibel – je nach gewähltem Ansatz oder „Betriebssystem“ – von den Rollen, Gremien oder Teams (nicht von dem Management) übernommen
  • Es gibt keine starre Hierarchie aufgrund von Beförderungen. Relativ fixe Positionen existieren nicht mehr oder besitzen nur mehr in Ausnahmesituationen Bedeutung.
  • Unterschiedliche Funktionen und Rollen ergeben sich aus den Bedarfen der Zielerreichung und der Kompetenzen und Interessen der Menschen („sweet spot“)

Checkliste zur Beurteilung von Agilität
in Unternehmen oder org. Teilbereichen (nicht ausschließlich auf Projektebene):

Eigenschaften des Transformationsprozesses hin zu agilen Strukturen und Kultur:

  • Die Entscheidung über die Strategie und den Prozess hin zu mehr Agilität in der Zusammenarbeit erfolgt gut informiert und mit einem neutralen Überblick zu den verschiedenen Optionen (v. a. Projekt- oder Organisationsagilität, anwendbare „Betriebssysteme“ bzw. Ansätze, Umfang und Reichweite, Erfolgsfaktoren).
  • Die gewählte Strategie (gesamtes Unternehmen, Teilbereiche oder Ausgründung; gewähltes „Betriebssystem“ bzw. Methodik oder Mischung verschiedener Ansätze) sollte bestmöglich auf Geschichte und Status Quo des Unternehmens angepasst sein. Es braucht bottom-up Reflexionsschleifen im Prozess und etwaige Anpassung der Transformationsschritte. Das Know-how aller Beteiligten soll einfließen können.
  • Es gibt ein klares Commitment des (Top-)Managements zu der agilen Transformation und der Einhaltung der damit verbundenen Regeln und Rahmenbedingungen.
  • Eine agile Umstellung wird als Transformations-, Vertrauens- und Kulturentwicklungsprozess verstanden und konzipiert. Es ist klar und akzeptiert, dass dies unter Umständen längere Zeit erfordert und wird bottom-up partizipativ umgesetzt.
  • Unterstützung für Manager*innen und Mitarbeiter*innen bei der Transformation, damit sie ihre Identität im Unternehmen neu definieren und Vertrauen in die neuen Strukturen aufbauen können (individueller und organisatorischer Mindshift als Ziel).
  • Bottom-up-Reflexionsschleifen: Es braucht partizipative Einbindung in den Transformationsprozess mit tatsächlicher Wirksamkeit, um Lernprozesse zu ermöglichen und für mehr Commitment der Mitarbeitenden zum Prozess.
  • Mitarbeiter*innen und Management werden bei dem Transformationsprozess hin zu agilen Arbeitsformen unterstützt. Schulungen bezüglich Basis-, Planungs-, Konfliktlösungs- und rollenspezifischen Kompetenzen werden offen angeboten. Weiters sind agile Teams durch Mentoring, Coaching und in Konfliktfällen Mediation zu begleiten.

Eigenschaften der agilen Organisation:

  • Seinszweck/purpose: die angestrebte Wirkung des Unternehmens / Teams / der Rolle muss explizit definiert sein, der Seinszweck kann bzw. soll evolutiv weiterentwickelt werden können (auch partizipativ).
  • Natural Leadership und Sweet Spot: Über Leadership wird primär durch die „Füße“, Wahl etc. abgestimmt im Sinne des purpose; nur in Ausnahmefällen aufgrund von Macht und Zwang. Das Unternehmen ist offen genug, um allen Mitarbeiter*innen die Möglichkeit zu eröffnen, den Punkt zu erreichen, wo ihre Interessen und Leidenschaften, Kompetenzen und der Geschäftsbedarf sich treffen („sweet spot“).
  • Agile Führungskräfte: Da die Verantwortung und Entscheidungsmacht den agilen Teams übergeben wird, muss geklärt werden, wie die Funktion des mittleren Managements in Zukunft gestaltet ist und wie sich ihre Aufgaben und Kompetenzen ändern.
  • Regeln der Organisation und Werte, die in der Zusammenarbeit eingehalten werden sollen, sind explizit definiert und
  • … müssen von allen befolgt werden, unabhängig von ihrer hierarchischen Position.
  • Schnittstellen zur traditionell-pyramidalen Umwelt außerhalb und innerhalb der Organisation sind klar definiert. Agile Projektteams Abteilungen werden in der Anwendung ihrer internen agilen Regeln und Strukturen geschützt vor Intervention von außen. Es gibt keine „Team externen“ Eingriffe aus der nicht-agilen Umwelt in die agile Leistungserstellung zu vorgegebenen Zielen.
  • Nicht-agile Strukturen im Unternehmen werden weitestmöglich an die Anforderungen der Agilität angepasst(z. B. Transparenz, Führung, Entscheidungsprozesse, Teamgröße, Qualifikationsangebote, Ausstattung, Reporting- und Dokumentationsanforderungen). Individuelle Leistungs- und Verhaltenskontrollen bzw. -tracking sind auszuschließen.
  • Agile Rollen (je nach gewähltem „Betriebssystem“) sind klar definiert und in die Führungsstrukturen integriert. Bei Rollenkonflikten gibt es eine geregelte Eskalation und definierte, entsprechend der agilen Logik plausible Einspruchsmöglichkeiten.
  • Die Teams können sich die Arbeit selbst nachhaltig aufgrund ihrer Erfahrung einteilen. Dadurch wird ein „nachhaltiges Arbeitstempo“ ermöglicht.
  • Die Teams an sich sollen möglichst stabil bleiben und auf Augenhöhe arbeiten können, um die erforderliche Vertrauenskultur zu ermöglichen.
  • Sowohl auf Projekt- als auch auf organisatorischer Ebene gibt es regelmäßige Reflexions- und Lernschleifen auf Augenhöhe als Teil eines kontinuierlichen Verbesserungsprozesses („Retrospektiven“).
  • Karrierewege in agilen Strukturen sind explizit definiert und es gibt faire Zugangschancen zur Nutzung der offeneren Entwicklungsmöglichkeiten bei Agilität. Dadurch können im Unternehmen auch neue Potentiale als Ergebnis der offenen Strukturen unabhängig von Formalqualifikationen entwickelt werden.
  • Die erzielten Leistungssteigerungen können teilweise auch für inhaltliche individuelle und organisatorische Weiterentwicklung und Innovation genutzt werden

Dieser Beitrag erschien zuerst auf LinkedIn Pulse. Vielen Dank für das Teilen!


Richard Pircher (LinkedInFacebook / Twitter) ist Berater, Sparring-Partner für Entwicklung, Speaker, Autor und Professor an der Fachhochschule des BFI Wien. In offenerer, selbstgesteuerter Zusammenarbeit mit einem klaren Purpose und Werten sieht er Entwicklungsmöglichkeiten sowohl für Organisationen als auch für die Menschen in ihnen. Bei derartigen Entwicklungsprozessen zu unterstützen ist für ihn selbst der kräftigste Purpose. 2018 hat er dazu das Buch „Agilstabile Organisationen: Der Weg zum dynamischen Unternehmen und verteilten Leadership“ veröffentlicht.

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