»Vater, Mutter, Kind?«

  • 31.10.2018
  • von Martin Ciesielski
Ein Artikel darüber, wie familiäre Strukturen die (neue) Arbeitswelt prägen ...
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In Unternehmen geht es spätestens mit der Professionalisierung der Personalarbeit ganz offiziell um die betriebswirtschaftlich ausgerichtete Gestaltung von „Human Relations“. Diese sollen sich nunmehr seit einigen Jahren im Idealfalle selbst organisieren. Die entsprechenden Stichworte waren und sind teilweise noch „Soziokratie“, die daraus abgeleitete „Holacracy“ und das daraus und aus anderen Umständen resultierende „Neue Arbeiten“, so called: New Work.

Interessant ist sicherlich zu erwähnen, dass sich diese „kleinen, geilen Firmen“ und Organisationsformen recht geradlinig aus den Idealen der 68er heraus entwickelten und mit neu strukturierten Familienmodellen durchaus korrelieren.

Der Historiker und Anthropologe Emmanuel Todd beschreibt in seinem aktuellen Buch „Traurige Moderne“ recht eindrücklich, wie Familienstrukturen unsere gesellschaftlichen und somit auch wirtschaftlichen Vorstellungen geprägt haben – und es auch weiterhin tun.

Wenn man (!) sich aktuell also der Eindrücke nicht erwehren kann, dass bei Co-Working und New Work immer auch der Wunsch nach einer Familienzugehörigkeit eine Rolle spielt, so kann dies durchaus darin wurzeln, dass diese Strukturen ihrerseits aus veränderten Familienstrukturen (Patchwork, Stammfamilien, die zu Kernfamilien werden etc.) resultieren.

Beziehungspartner im Unternehmen – Elton Mayos Studien

Wenn es sich also womöglich mehr als je zuvor in Organisationen darum dreht, Beziehungen zu gestalten, dann kann man sich dabei womöglich durchaus an Familien orientieren. Wie sind dort die Geschlechterverhältnisse? Wer darf was? Wie sieht es mit der Rang- und Erbfolge aus? Welche Regeln gelten in diesem Oikos (Haushalt?)?

Wegweisend für die „Human Relations“ in Organisationen war die Arbeit des Organisationspsychologen Elton Mayo. Zwischen 1924 – 1927 führte er in den Hawthorne-Werken in Chicago Experimente durch, die den zwischenmenschlichen, emotionalen Transaktionen mehr Aufmerksamkeit widmeten als es je zuvor bei Studien solcher Art der Fall war.

„Eine Arbeiterin kam […] im Verlauf einer Befragung darauf, dass sie einen gewissen Abteilungsleiter deshalb nicht leiden mochte, weil er ihren verhassten Stiefvater merkwürdig ähnlich sah. Es nimmt nicht Wunder, dass der gleiche Abteilungsleiter den Interviewer mit dem Hinweis gewarnt hatte, dass die Arbeiterin „schwierig zu behandeln sei“, zitiert die Soziologin Eva Illouz die Forschungsergebnisse Mayos in ihrem Buch „Die Errettung der modernen Seele“.

Wegweisend wurden diese Untersuchungen ebenfalls dadurch, dass Mayo herausfand, dass die Produktivität der Angestellten zunahm, allein dadurch, dass die Forscher mit ihnen sprachen. Woraus abgeleitet wurde, dass Führungskräfte sich dieser „Soft Skills“ bewusster anzunehmen hätten – schließlich konnte man dadurch die Leistungsbereitschaft der Belegschaft steigern.

Was allerdings häufig, wenn diese Studien zitiert wurden, kaum Erwähnung fand war, dass es sich in der Hauptsache um weibliche Mitarbeiterinnen gehandelt hatte. So kommt Eva Illouz in „Die Errettung der modernen Seele“ auch zu dem Schluss: „Wenn die Frage, wie sich innerhalb des Unternehmen soziale Bindungen herstellen und aufrechterhalten lassen zu einem Schlüsselmotiv für Mayo und spätere Theoretiker wurde, dann deshalb, weil seine ursprünglichen Ergebnisse (ohne dass es ihm auffiel) hochgradig geschlechtsspezifisch waren. Sie spiegelten eine weibliche Gefühlskultur in der Fürsorglichkeit, unverhohlene Zuneigung, explizit angebotene Unterstützung und verbale Kommunikation im Mittelpunkt der sozialen Identität und der gelebten sozialen Bindungen standen. […] Tatsächlich haben nur wenige bemerkt, dass Mayos Interviewmethode über alle Merkmale eine therapeutischen Interviews verfügte. […] Weil Mayo auf die begrifflichen Werkzeuge der Psychologie zurückgriff, konnte er den Befragten eine Form des Sprechens entlocken, die wesentlich privater und emotional war. […] Wenn also, wie viele Feministinnen behaupten, Männlichkeit implizit in die Instrumente der Klassifikation und Evaluation am Arbeitsplatz eingeschrieben ist, dann stellen Mayos Ergebnisse gewiss ein Beispiel für das Gegenteil dar.“

Der psychoanalytische Diskurs war und ist somit vor allem eine Familienerzählung und scheint über die Instrumente der Organisations- und Personalentwicklung auch zu einer Organisationserzählung geworden zu sein.

 

Widersprüche aushalten?

So ist es ja zu einem Allgemeingut geworden, dass Mütter sich bis zur Selbstaufgabe um die Familie, die sozialen Beziehung und um alle anderen, nur nicht um sich selbst zu kümmern haben. Eine Form der Selbstkontrolle die in einem krassen Gegensatz zu der doch ansonsten gesellschaftlich als so emotional und unberechenbar dargestellten Frau steht.

Und auch diese „Qualität“ hat in den letzten Jahren und Jahrzehnten ihren Einzug ins Management aber auch in der weiteren Belegschaft gehalten – noch einmal Eva Illouz: „Aktuelle Untersuchungen bestätigen zur Genüge, dass das Ethos der Selbstbeherrschung die Welt der Unternehmen vollständig durchdrungen hat.“ Welche Führungskraft würde heute nicht behaupten, dass es in ihrer Position auch (und vor allem) um Selbstkontrolle und Einfühlungsvermögen geht? Aber geht das überhaupt zusammen?

Der Soziologe Ulrich Bröckling hat in seiner Studie zum unternehmerischen Selbst noch weitere Dilemmata zusammengetragen die es, für das Unternehmen gewinnbringend, auf individueller Ebene zu lösen gilt. Um heutzutage beruflich erfolgreich zu sein, braucht es

Weltklugheit und Naivität,

konvergierendes und divergierendes Denken,

Extroversion und Introversion,

Ehrgeiz und Selbstlosigkeit,

männliche und weibliche Eigenschaften,

traditionell/konservativ als auch rebellisch und bilderstürmerisches Verhalten.

Wer solche Ansprüche stellt, braucht sich über nichts mehr zu wundern.

Problematisch ist es allerdings, dass Menschen, die diesem strukturell gemachten Wahnsinn nicht entsprechen können und wollen, ihrerseits als „ausgebrannt“, „psychisch labil“ oder einfach nicht leistungsfähig abqualifiziert werden. Dies bahnte sich aber ebenfalls zu Beginn der Psychologie seinen Weg. Noch einmal Eva Illouz: „Wenn die Grenze zwischen neurotischem und gesundem Verhalten hoffnungslos verschwommen war (mit der Psychoanalyse wurden wir über Nacht alle neurotisch), dann konnten im Prinzip alle Wünsche und Handlungen auf eine problematische, unreife, widersprüchliche und neurotische Psyche hindeuten.“

Dies macht es dem bestehenden Wirtschaftssystem leicht, seine inneren Widersprüche und Probleme nicht wirklich in Angriff zu nehmen, oder, wie es Andreas Gelhard in „Kritik der Kompetenz beschreibt: „Die Aufforderung, selbst seine Empfindungen den Vorschriften der christlichen [kapitalistischen, marktwirtschaftlichen] Glaubenssatzungen anzupassen, ist für ihn [Hegel] der prägnanteste Ausdruck eines autoritären Systems, das lieber Unmögliches verlangt, als seine Maßstäbe zu ändern.“

Sind wir doch mal ganz ehrlich zu uns: Kennen wir diese Widersprüche doch nicht nur aus unserer Firma, sondern auch aus der eigenen, familiären Umgebung. Für den Philosophen Karl Marx hätte es sich dabei allerdings wohl lediglich um einen Nebenwiderspruch gehandelt.

Er soll mit seiner Frau Jenny recht glücklich gewesen sein. Und sie mit ihm.

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