»Nennt es nicht New Work!«

  • 19.06.2022 (aktualisiert)
  • von Marion King
  • Lesezeit: 18 Minuten
Ein Plädoyer dafür, den "New Work"-Begriff nicht als Buzzword abzutun und ihn auch weiter zu benutzen – sich aber vorher ernsthaft damit auseinanderzusetzen ...
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Vor nicht allzu langer Zeit auf dem Panel einer Konferenz zum Thema „Zukunft der Arbeit“: der Personalvorstand eines großen Konzerns (der hier namentlich nicht genannt werden soll und im Übrigen auch austauschbar wäre) berichtet stolz, dass in ihrem Unternehmen seit Neuestem (also manchmal) in interdisziplinären Teams ohne Silo-Denken in so einem ganz großen Raum ohne Wände (wow!) zusammengearbeitet wird. Es gibt bei ihnen jetzt außerdem 2mal(!) statt 1mal im Jahr Feedback-Gespräche. Das dafür offiziell ausgerufene Programm heißt „New Work@XYZ-Konzern“. Die Recruiting-Abteilung ist sich sicher, dass das auch für Employer Branding richtig gut ist. Leider kommen im Moment nämlich nicht genügend gute Mitarbeiter*innen ins Unternehmen.

Komisch, ne?!

In solchen Situationen (die mir in letzter Zeit leider immer mehr begegnen) muss ich dann 3- oder besser 4mal ein- und wieder ausatmen. Und an mich halten. Ich will ja höflich, respektvoll und wertschätzend sein. Und ja, wir sollten wirklich dankbar sein, dass so viele Unternehmen anfangen, links und rechts der Pyramide zu schauen, dass sie Mitarbeiter*innen zu agilen oder wahlweise Design Thinking-Fortbildungen schicken, dass sie bunte Post-its und große Pinnwände bestellen. Und dafür bin ich tatsächlich sehr dankbar! Ich freue mich geradezu darüber, dass es immer öfter heißt „New Work ist die nächste Sau, die durchs Dorf uswusf.“.

Das zeigt doch, dass schon allerorten darüber gesprochen wird, dass die Menschen sich damit beschäftigen, dass irgendwie angekommen ist, dass man Arbeit auch anders und außerhalb der ollen Top-Down-Organigramme gestalten könnte. Es ist toll, dass immer mehr Menschen Laloux gelesen haben, zu „New Work“-Meetups gehen, auf der Suche nach neuen Konzepten und nach Antworten sind und damit am Ende unweigerlich irgendwann auf den Trichter kommen, ihr eigenes Arbeiten und das komplette System „Wirtschaft“ in Frage zu stellen. Ich freue mich auch immer wie ein Schneekönig (also Schneekönigin natürlich), wenn jemand nach einem Vortrag zu mir kommt und mir sagt, dass sie/er unser Magazin regelmäßig liest und es eine große Inspiration und Ermutigung für sie/ihn ist. Selbst, wenn es die/der einzige Leser*in wäre: wir würden damit weitermachen.

@Tony Webster / Wikimedia Commons

Hier kommt das „Aber“

Bei aller Dankbarkeit und Freude über die noch so kleinen Veränderungen dieser Welt: wenn man Vorstand(!) eines Konzerns(!) und zufällig auch noch für Personal(!) zuständig ist, dann muss der eigene strategische Radius doch weiter gehen als bis zu Ideen, auf die jede*r Junior HR-Manager*in heutzutage kommt – oder zumindest kommen könnte. Ich wundere mich also über diese selbstverliebte Euphorie an dieser Stelle. Und über so viel kurzfristiges Denken und Handeln. Leute, es ist schon Digitalisierung! Schon wirklich ganz schön lange!

Ich wundere mich im Übrigen auch sehr darüber, dass sich immer noch so wenige Führungskräfte mit zeitgemäßen Methoden von Zusammenarbeit beschäftigen. Geschweige denn, dass sich die meisten in ihrem ganzen Führungskräftearbeitsleben überhaupt noch niemals mit Organisationsentwicklung und Kollaborationsmethoden oder mit so schlichten, aber effektiven Themen wie guter Kommunikation und nützlichem Feedback beschäftigt haben. Führung ist doch nichts, das man mit Erreichen der nächsten Karrierestufe, einem Dienstwagen und 500 Euro netto mehr automatisch drauf hat. Und nein, 2 Tage Führungstraining reichen leider in den allerwenigsten Fällen für diese Profession aus – auch wenn man wirklich mit sehr viel Empathie gesegnet ist.

Es gibt ihn ja nicht wirklich, diesen „gesunden Menschenverstand“, aber an den appelliere ich innerlich, wenn mir Führungskräfte erklären, dass ihre(!) Mitarbeiter*innen nicht intrinsisch motiviert sind, dass ihre Ansagen wie „Ich will hier mehr Selbstverantwortung und Selbstorganisation sehen!“, auch nicht einen Hauch ankommen, geschweige denn umgesetzt werden. Merkt ihr nicht, wie ihr es hinkriegt, dass das nicht funktioniert?

»Was lernen Manager*innen eigentlich in ihrem Business-Studium? Dinge wie Selbst- und Fremdwahrnehmung, Reflexion, systemisches Verständnis, Achtsamkeit und gutes Zuhören wohl eher nicht.«

Ich wundere mich auch über die HR-Abteilungen, die in so vielen Unternehmen eher ein Bypass als wirklich gute und sinnvolle Unterstützer sind und die mit ihrer Arbeit irgendwie für Führung und Personalentwicklung sorgen soll. Und die meist ganz enttäuscht sind, dass sie zu strategischen Themen oder zur Unternehmensvision nicht gehört oder gefragt werden – wo sie doch so toll mit Menschen können.

Mensch, Leute!
Für was werdet ihr bitteschön bezahlt?

Man könnte doch selbst darauf kommen, dass es wirklich wirklich keinen Sinn macht, jetzt 2mal statt 1mal im Jahr diese unsäglichen Feedback-Gespräche zu führen und absurde Ziele zu vereinbaren, die in 4 Wochen schon nicht mehr gelten. Und dass Tischkicker und Feel-Good-Manager*innen nicht das Allheilmittel sind. Und dass Homeoffice vielleicht nicht für alle Menschen und für alle Kontexte gut ist. Und dass ein Design Thinking-Seminar noch kein innovatives Team macht. Und dass die Ansage „Ab jetzt ist Selbstorganisation!“ nicht dazu führt, dass die Menschen eigenständig und dann auch noch gemeinschaftlich und vor allem total gerne Verantwortung übernehmen, wo sie vorher einfach nichts selber durften.

Stoppt diesen blinden Aktionismus und die ganzen Cargo-Kulte!
Und nennt DAS doch bitte nicht auch noch „New Work“!

Aber was ist es denn dann?

Falls sich an der Stelle hier jemand wundert, warum wir von Les Enfants Terribles es auch oder immer noch „New Work“ nennen und sogar eine ganze Ausbildung mit diesem Namen haben: seien Sie versichert, wir hadern jeden einzelnen Tag damit, aber wir haben einfach noch keinen besseren Begriff dafür gefunden, der all das so klammert. „New Work“ ist in den letzten Jahren einfach zu dem Synonym für die ganzen Veränderung der Arbeitswelt geworden, unter dem sich immer mehr Menschen etwas vorstellen können. Aber es ist eben mehr als „agil“ und mehr als „Selbstorganisation“ und mehr als „Purpose“.

Die Frage ist auch, was bitte an diesem „New Work“ eigentlich „neu“ sein soll? Eigentlich auch nix. Frithjof Bergmann hat den Begriff bereits in den 1980ern mit seinem „Zentrum für Neue Arbeit“ geprägt. Methoden wie die Soziokratie gibt es in den Ursprüngen seit den 1880ern und wurde dann Mitte des 20. Jahrhunderts immer mehr angewandt, Scrum hat auch schon ein paar Jahre auf dem Buckel und wann wurde das Agile Manifest nochmal genau geschrieben?

Und die „Zukunft von Arbeit“ oder „Future of Work“ ist es ganz oft eben auch nicht, weil es in den meisten Projekten, die wir zumindest erleben und von denen wir hören, nicht um unser künftiges Arbeiten geht, sondern es geht eher darum, die Herausforderungen im Hier und Jetzt in punkto gute Zusammenarbeit zu bewältigen. Leider haben die meisten Unternehmen in den letzten (sagen wir mal) 20 bis 30 Jahren die Chance versäumt, ihre Organisationen, die Kompetenzen für Zusammenarbeit und ihre Unternehmenskultur an moderne und digitalisierte Zeiten anzugleichen. Das baden wir jetzt mit tonnenweise Emails, ineffizienten Meetings und viel Burnout aus.

Selbst jetzt, wo wir doch wissen, dass KI und Automatisierung wirklich vor der Tür stehen, machen sich die wenigsten Unternehmen Gedanken über die Fragestellungen einer noch weiteren Technologisierung unserer Arbeitswelt. Dabei wäre es jetzt wirklich an der Zeit, damit wir in 20, 30 Jahren nicht wieder hinterher sind.

Wir nennen es übrigens auch immer noch „New Work“, weil wir merken, dass es für die meisten Unternehmen eben wirklich ein neues Arbeiten ist – selbst wenn es manchmal wirklich nur ganz kleine Veränderungen, einfach Workhacks, ein leicht anderer Blick auf die jahrelang geübten Dinge sind.

Also, nutzen auch wir den Begriff. Wohl wissentlich, dass wir noch weit vom Frithjof Bergmann’schen Konzept und Ideal entfernt sind.

Aber wir sind eben alle auf dem Weg. Und Veränderung geschieht nicht von heute auf morgen. Es braucht schon auch ein bisschen Geduld und Übung.

Keine Blaupause!

Jetzt kommt die Lieblingsfrage aller Unternehmen: wie geht denn dieses „New Work“, was ist die Blaupause und was sind die Best Practices? Wir wollen genau wissen, wer das schon wo und wie gemacht und vor allem wollen wir ganz sicher sein, dass das auch funktioniert!

Aaaaaaaah!
Sicherheit!
Gibt’s nicht!

Die einzige Best Practice ist: sich damit zu beschäftigen (und zwar wirklich wirklich), sich mit dem eigenen Unternehmenskontext kritisch auseinanderzusetzen und herauszufinden, was es für die Zukunftsfähigkeit des eigenen Unternehmens und was es für ein gutes Miteinander der Menschen dort braucht. Fertig!

Was sehr gut hilft, ist, sich selbst auf die „New Work“-Schliche zu kommen: sich zu fragen, was denn die eigentliche eigentliche Motivation für dieses „New Work“ ist. Will ich mich ernsthaft mit all meinen Mitarbeiter*innen, deren Bedürfnissen und Potenzialen auseinandersetzen, will ich in kollaborativen Prozessen gemeinsam an der Organisation der Zukunft arbeiten und will ich tatsächlich hören, was die Menschen über meine Art des Führens denken?… Meistens ja eher nicht. Es geht doch eigentlich darum, dass es irgendwie laufen, die Kolleg*innen nicht nerven und der Chef zufrieden sein soll, ne? So wird das aber nix!

Das Motto der re:publica19 war „too long:didn’t read”; manchmal habe ich das Gefühl, dass das bei „New Work“ auch so ist. Die wirklich nötige Veränderung unserer Arbeitswelt müsste so umfassend und so tief sein, dass die Menschen sich damit erstmal überfordert fühlen. Das ist so ein bisschen wie mit dem Thema „Klimaschutz“. Aber nicht umsonst gilt „Critical Thinking“ als eine der wichtigsten Zukunftskompetenzen. Es läuft eben auf ganz vielen Ebenen ganz viel schief: Strukturen, Kultur, Prozesse, Vision, Methoden, Werte, Kompetenzen, Regeln, Strategie, Haltung, Tools, usw. Wirkliche Veränderung findet nur statt, wenn sie in allen Bereichen stattfindet; das hat schon Herr Wilber mit seinen vier Quadranten gesagt.

Hier kommt eine kleine Übersicht der Themen und Inhalte, die wir für „New Work“ in der Kombination(!) für relevant sehen:

  • Eine Organisationsstruktur, die sich an der Wertschöpfung des Unternehmens ausrichtet, die flexibel mit den Anforderungen und ständigen Veränderungen gehen kann, die nicht „Von-oben-nach-unten“ sondern eher „in der Fläche“ und im gemeinschaftlichen, kollegialen Denken und Handeln stattfindet.
  • Prozesse, die mit den tatsächlichen Anforderungen gut und leichtgängig und wertschöpfend mitgehen.
  • Eine Kultur, die für interdisziplinäres, vertrauensvolles und gemeinschaftliches Arbeiten sorgt, die Offenheit, Transparenz, Kreativität und Innovation unterstützt.
  • Tools und Methoden, die nutzer-zentriert, kreativ und agil sind, die Menschen gut miteinander arbeiten lassen, für effektive Lösungen sorgen.
  • Kompetenzen der Mitarbeiter*innen, die für eine wirkliche Kollaboration, für Innovativität und Kreativität sorgen, die einen großen Fokus auf „Inner Work“ und Zusammenarbeit haben, die unternehmerisches Denken und Handeln stützen, die für eine weiter technologisierte Zukunft mit Themen wie KI und Automatisierung vorbereiten. Und entsprechende Entwicklungsprogramme und Lernmethoden, die wirkliche (v.a. auch langfristige) Bedarfe abbilden.
  • Führung, die eher eine Rolle als eine Position bedeutet, die den Raum und den Rahmen hält, eher Coach, Entwickler*in und Begleiter*in ist – mit Menschen, die darauf Lust haben und dafür ausgebildet sind.
  • Vergütungssysteme und „Zielvereinbarungen“, die angemessen an die tatsächlich relevanten Leistungen und Ziele sind.
  • Räume/Orte und eine Arbeitsplatzausstattung, an denen man gut und gerne arbeiten kann und möchte – je nach Bedarf flexibel umgestaltbar.
  • Und ein Bewusstsein darüber, dass „Change“ kein Projekt ist, sondern wenn dann schon ein Prozess – und zwar ein niemals endender.
    (Wer übrigens mehr über eine zeitgemäße Form von „Change“ lesen möchte, kann das hier im Interview mit Silke Herrmann über den OpenSpace Beta-Prozess tun.)

Um was es aber wirklich wirklich geht

Es geht um ein gutes(!) Leben und Arbeiten in dieser VUCA-Welt, um die Zukunftsfähigkeit von Organisationen, aber eine nachhaltige, und um einen guten Umgang mit den Mitarbeiter*innen. Wenn man so will, geht es um das Dreieck „People-Planet-Profit“. Es geht um Verantwortung (fürs Selbst und für die Anderen), um Weitsicht und um Erwachsensein.

Es geht darum, die immer fortwährende Transformation zu gestalten. Change ist jetzt wirklich immer. Es geht um die Arbeit AM Unternehmen und nicht nur im. Dazu kann jede*r beitragen – egal an welcher Stelle im Unternehmen sie/er sitzt, wie erfahren oder alt sie/er ist. Es geht um den eigenen Wirkkreis, den Radius, den ICH gestalten kann.

Die Erkenntnis aus all unseren Workshops, die wir geben, ist letztendlich immer: es geht um Haltung, Haltung, Haltung. Es geht nicht um „Doing New Work“, sondern um „Being New Work”.

Wir wissen selbst, dass das nicht einfach ist. Denn auch wir gehen seit ein paar Monaten durch einen Veränderungsprozess; wir bauen unsere Organisation soziokratisch und damit gemeinschaftlicher um. Nicht einfach… Aber wir machen das alles in einem sehr bewussten, reflektierten Prozess. Und mit Unterstützung von außen. Das hilft uns sehr.

Letztlich ist es doch auch egal, wie das Ding heißt – ob „New Work“ oder ganz anders. Hört auf, es als Buzzword abzutun oder zu beschimpfen. Lasst es einfach. Beschäftigt euch lieber damit, wie Arbeit in eurem Unternehmen zukunftsfähig gestaltet werden kann, wie man es schaffen könnte, dass Menschen gern bei euch arbeiten, sich entwickeln können.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat hier in seiner Eröffnungsrede der re:publica19 gesagt: „Digitalisierung heißt: vernetzt zu sein. Demokratie aber heißt: verbunden zu sein. … Diesen Schritt vom Vernetzt- zum Verbundensein, den müssen wir noch gehen“. Das war ein guter Satz.

Aber nennt es bitte nicht „New Work“, wenn ihr versucht, mit der alten Pyramiden-Höher-Schneller-Weiter-Logik und -Mentalität lustige Maßnahmen zu implementieren! Ihr dürft es dann „New Work“ nennen, wenn ihr wirklich wirklich kapiert habt, dass Arbeit in Zukunft anders, kollaborativer, achtsamer gehen muss.

Und vielleicht sollte ich in Zukunft weniger höflich und respektvoll und wertschätzend sein. Und (noch viel mehr) ein Enfant Terrible. Ich frage mich, ob wir mit Höflichkeit und freundlicher Zurückhaltung mit dieser ganzen Veränderung der Arbeitswelt und schließlich auch der unseres Lebens weiterkommen. Eher nicht.

Lasst uns alle Aktivist*innen für gutes Arbeiten sein – ohne neu!
Und lest dieses Buch!

  • Frithjof Bergmann: Neue Arbeit, Neue Kultur
    Arbor Verlag
    440 Seiten, 19,90 Euro

    ISBN 9783867812085

Mehr Buchempfehlungen findet ihr auch noch hier in unserer Bücherliste.

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