»Material Matters«

  • 13.11.2019
  • von christiane kuerschner
Ein Interview über Circular Economy mit Sabine Oberhuber ...
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Mit ihrem Buch „Material Matters“ zeigen Sabine Oberhuber und Thomas Rau, wie die Zukunft der Wirtschaft aussehen kann – und muss. Ressourcenverschwendung, geplante Obsoleszenz und Konsumrausch sind von gestern, wir müssen hin zu einem Produkt als Dienstleistung (Product as a Service), zur Kreislaufwirtschaft. Wie das geht und was wir alle tun können (und müssen), darüber sprachen wir mit Sabine Oberhuber. Wir finden toll, dass die Beiden nicht nur darüber schreiben, sondern mit ihrem Architekturbüro auch entsprechende Projekte umsetzen.

FridaysforFuture, der Klimawandel mit allen seinen (sommerlichen) Folgen und äußerst angespannte wirtschaftspolitische Beziehungen: Ist jetzt nicht die beste Zeit für ein neues Wirtschaftssystem?

Das Problem ist, dass wir eigentlich schon recht spät dran sind. Die Folgen unseres Wirtschaftens sind abzusehen und sie werden uns in absehbarer Zeit um die Ohren fliegen. Und trotzdem herrscht eine unglaubliche Naivität im Umgang mit dem Thema. Wenn beispielsweise in den Medien zu lesen ist, dass uns noch bis 2030 Zeit bleibt, um die Klimakatastrophe abzuwenden, dann klingt das für viele Menschen nach einer sehr langen Zeit und es vermittelt das Gefühl, dass wir noch Zeit haben, um die Probleme zu lösen. Dabei haben wir das Steuer längst verloren. Es gibt eine absolute Notwendigkeit, die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen an die Herausforderungen der Menschheit anzupassen. Dahingehen ist es, dass die Warnzeichen völlig ignoriert werden.

Aber was ist der Grund für diese Ignoranz?

Der Grund liegt meines Erachtens darin, dass es für viele Menschen nicht mehr möglich ist, die großen Zusammenhänge in Wirtschaft, Gesellschaft und Politik zu erfassen. Die Grenzen des Systems sind viel weiter weggerückt, früher waren die Menschen näher dran und die Folgen des eigenen Handelns waren sichtbarer. Heute ist die Welt und vor allen die Wirtschaftswelt um einiges komplexer, was hingegen für Konsumenten direkt sichtbar wird sind kurzfristige finanzielle Folgen. Dazu kommt, dass unser finanzielles System kurzfristige Gewinnmazimierung als wichtigesten Steuerungsmechnaismus sieht. Verantwortung für das Große Ganze wurde lange Zeit unter dem Motto: „the business of business is business, abgelehnt.“ Beides sorgt dafür,dass Konsumenten und Unternehmen nicht weitsichtig sondern nur sehr kurzfristig handeln.

Die aktuellen Politakteure nutzen das Primat der Politik, seine Vorrangstellung nicht aus. Es gibt aktuell nicht den Mut, einen neuen Rahmen für die Wirtschaft zu setzen, aber das hat Auswirkungen. Robert Habeck sprach vor nicht allzu langer Zeit in einem Interview sinngemäß davon, dass von den Bürgern ein nahezu heiliges Verhalten verlangt wird. Sie sollen bewusste Entscheidungen treffen, sei es der Jutebeutel anstatt der Plastiktüte oder das Elektroauto statt des Diesels, aber der gesellschaftspolitische Rahmen ist komplett verantwortungslos und begünstigt ein gegenteiliges Verhalten. Ein gutes Beispiel dafür ist, dass man für ein Bahnticket von Paris nach Hamburg doppelt so viel bezahlt wie für ein Flugticket. Warum muss das so sein? Wer soll sich davon motiviert fühlen, für den Wandel einzustehen? Und wer kann es sich überhaupt leisten?

In Ihrem Buch erzählen Sie von der Erfindung der Glühbirne als industrielles Produkt. Die Produzenten fürchteten, dass Konsumenten nach dem ersten Boom bald keine Glühbirnen mehr kaufen, weil diese einfach zu lange brennen. Deshalb wurde die Brenndauer künstlich verkürzt. Heute nennt man das „geplante Obsoleszenz“ und es wurden bereits viele Global Player dabei erwischt. Warum gibt es keinen wirklichen Widerstand gegen ein solches Vorgehen?

Es herrscht eine Konsumentenverwirrtheit. Es gibt ausgeklügelte Marketingstrategien, mit denen Konsumenten scheinbar wichtige Informationen zu Produkten erhalten. Es gibt aber keine Transparenz, was Herstellungsprozesses, die Herkunft von Rohstoffen und ihre Verarbeitung betrifft, um von der Haltbarkeit des Produktes schon garnicht zu sprechen.

Interessanterweise findet es unsere Generation gar nicht mehr komisch, wenn Geräte wie Fernseher oder Kaffeemaschinen nach einer gewissen Zeit ohne ersichtlichen Grund nicht mehr funktionieren. Das wird so hingenommen. Die wenigsten Menschen sind in der Lage oder haben die Muße dazu, solche Geräte zu reparieren. Das liegt auch daran, dass die Geräte so gebaut werden, dass eine Reparatur schwierig wird. Sie sind darauf ausgelegt, weggeworfen zu werden, sobald der erste Draht korrodiert – obwohl er tatsächlich einfach ausgetauscht werden könnte.

Sie fordern, dass wir Materialien und Rohstoffe wieder nutzen, anstatt sie besitzen zu wollen. Da spielt auch eine Form von Achtsamkeit hinein, denn es geht um den verantwortungsvollen Umgang mit Ressourcen. Wie fangen Unternehmen am besten damit an?

Eine der größten Herausforderungen für die verarbeitende Industrie wird die zunehmende Rohstoffknappheit sein. Deshalb liegt es auch in ihrem eigenen Interesse, die in Produkten eingesetzten Rohstoffe wieder zurück zu bekommen. Das haben mittelständische Unternehmen, die oft familiäre Eigentumsstrukturen haben, bereits verstanden. Das liegt auch daran, dass das langfristige Planen hier viel stärker verankert ist. Es gibt bereits Unternehmen die Servicemodelle in ihre Strukturen aufgenommen haben. Ein gutes Beispiel ist Mitsubishi Electric, die in ihrer Produktsparte Fahrstühle in modularer Bauweise zum als Dienstleistung anbietet. Die Laufzeit liegt dann beispielsweise bei 20 Jahren, Mitsubishi Electric bleibt der Besitzer des Fahrstuhls und der Rohstoffe. Nach 20 Jahren, wenn die Elektronik des Fahrstuhls womöglich veraltet ist, können einzelnen Module ausgetauscht werden oder die Rohstoffe an anderer Stelle weiter genutzt werden.

Ich wage zu behaupten, dass bei vielen Produkten, die heute neu auf den Markt kommen, höchstens 20 Prozent des jeweiligen Produktes innovativ sind. Ein neuer PC sieht meistens sehr ähnlich wie sein Vorgänger, ein kleiner Facelift ausgenommen, neu ist dann höchstens ein Mikrochip oder eine neue Funktion, die auf das Gerät gespielt wird. Trotzdem müssen Konsumenten ein komplett neues Gerät kaufen, für das wiederum neue Rohstoffe genutzt werden. Die werden aber knapp, weshalb es für Unternehmen viel Sinn macht, die Geräte zu nicht zu verkaufen, sondern zu vermieten und nach Zurücknahme nur modular zu ergänzen beziehungsweise umzubauen. Hier wird ein Produkt als Service verstanden.

Dieses Prinzip wenden Sie und Thomas Rau aber auch in der Architektur an, nicht wahr? 

Ja, unsere Firma RAU Architekten hat sich schon sehr früh darauf spezialisiert, Gebäude zu erschaffen, die nach den Prinzipien der zirkularen Wertschöpfung funktionieren, dabei ist es für uns auch sehr wichtig angenehme Räume für Menschen zu schaffen. Im September haben wir die Hauptgeschäftstelle der Triodos Bank fertiggestellt, ein Gebäude dass fast vollständig aus Holz besteht und komplett auseinander geschraubt werden kann, wenn es nicht mehr benötigt wird. Das Gebäude ist nun ein CO2 Speicher, anstatt dass CO2 bei seiner Produktion freigesetzt wurde. Energetisch ist es natürlich auch energiepositiv. Das Gebäude wurde kürzlich zum „Office Building of the Year“ gekürt.

Vor ein paar Jahren haben wir mit einem Energieunternehmen zusammen gearbeitet, das zusätzlichen Platz für 1600 Mitarbeiter benötigte. Dafür hatte es einen alten unwirtlichen Gebäudekomplex, der aus fünf, sechs Betonklötzen bestand. Anstatt nun aber einfach alles abzureißen, haben wir uns dazu entschieden, die Gebäude zu erhalten und den Komplex mit einer Dachkonstruktion aus Stahl und Glas zu überspannen, die durch eine modulare Bauweise jederzeit abgebaut, transportiert und wiederverwendet werden kann. Um ein Unternehmen zu finden, dass eine solche Stahlkonstruktion bauen kann, mussten wir kreativ sein. Letztlich wurden wir bei einem Achterbahnunternehmen fündig, das über das notwendige Wissen und Erfahrungen verfügt. Das war auch überrascht und sagte sinngemäß „okay, wir bauen aber eigentlich Achterbahnen“ und wir sagten „gut, baut uns eine horizontale Achterbahn und wir nennen es dann einfach Dach“. Das Ergebnis war ein Dach mit einer Konstruktion, die 30 Prozent weniger Stahl benötigte als ein herkömmliches Stahldach. Mit dieser Überdachung konnte das ganze Nutzungskonzept der bestehenden Bauten erweitert und verbessert werden. Es lohnt sich also, sich umzuschauen und zu schauen, in welchen Branchenzweigen die nötigen Materialien und Skills zu finden sind, um zyklisch zu wirtschaften. Natürlich ist auch dieses Gebäude energiepositiv!

Was muss von der politischen Seite aus passieren, damit die Circular Economy zum Standard wird? 

Ich denke, es braucht ein politisches Signal. Das bedeutet zum Beispiel, dass auch die Regierung bei ihrer Materialbeschaffung auf eine zirkulare Wirtschaft setzt. In den Niederlanden wurde 2014 ein Gesetz im Parlament verabschiedet, dass festschreibt, das 10% aller Beschaffungen der öffentlichen Hand kreislaufgerecht sein müssen, dass war ein sehr wichtiger Impuls. Wenn Behörden oder öffentliche Einrichtung neu eingerichtet werden oder neue Gebäude gebaut werden, dann sollten sie zirkulär planen. In den Niederlanden gibt es beispielsweise eine Entwicklung hin zu Eingemeindungen. Dafür werden in absehbarer Zeit viele kleine öffentliche Gebäude überflüssig werden. RAU Architekten realisierte 2013 für die Gemeinde Brummen die Erweiterung des Rathauses. Der Entwurf Die Villa aus 1890 wurde um eine demontable Glas-Stahl-Struktur erweitert, so dass es mehr Platz gibt, das Gebäude diente als Vorbild für viele öffentliche Ausschreibungen. Wir verstehen dieses Gebäude als Rohstofflager, in dem die verwendeten Materialien nun ihren Zweck erfüllen. Wenn sie in 20 Jahren nicht mehr gebraucht werden, werden sie an anderer Stelle verwendet, die modulare Bauweise macht es möglich. Wenn Behörden die zirkuläre Wertschöpfung leben, ist das ein unglaublich starkes Signal für die freie Wirtschaft, die sich auch immer mehr öffnet.

Außerdem gibt es erste politische Signale wie beispielsweise aus Italien. Dort wurden Apple und Samsung 2018 von der Kartellbehörde zu Strafen von  jeweils 10 Mio. Euro (Apple) und 5 Mio. Euro (Samsung) verurteilt, weil sie die Leistungsfähigkeit älterer Geräte gezielt drosselten. Für solche Global Players ist das nicht viel, aber es ist ein Anfang.

Wie und wo können sich interessierte Unternehmen und Einzelpersonen über die Circular Economy informieren und Tipps zum Umsetzen bekommen?

Es gibt mittlerweile verschiedene Experten die sich auf die Kreislaufwirtschaft spezialisiert haben. SystemiQ zu beispiel oder Prof. Dr. Michael Braungart, den Gründer von Cradle2Cradle. Sie wie auch unsere eigen Firma Turntoo unterstützen Unternehmen aus Wirtschaft, Politik und Wissenschaft bei der  Integration von zirkulären Prozessen, jeder hat einen anderen Schwerpunkt. Ansonsten beginnt die Veränderung bei jedem selbst und es entwickelt sich aktuell ein Grasroots Widerstand. Der kann darin bestehen, Produkte zu kaufen, die besonders langlebig und zeitlos sind. Dafür ist Manufactum eine gute Adresse. Es gibt außerdem eine steigende Zahl an Repair Cafés, in denen Menschen wieder lernen Dinge zu reparieren und die Kreislaufwirtschaft stärken. Und geht die Kaffeemaschine kaputt, dann sollte man auch einfach mal beim Hersteller anrufen und fragen, ob eine Reparatur möglich ist. Ich habe das getan, nachdem meine Kaffeemaschine nicht mehr funktionierte. Mir wurde sofort eine neue Maschine angeboten, die kaputte hätten sie sicherlich einfach entsorgt. Ich bestand auf eine Reparatur und siehe da, es war möglich. Mit solch einer Kritik und einem Insistieren werden Unternehmen für dieses Thema sensibilisiert und ganz langsam beginnt das Umdenken.


Sabine Oberhuber ist Diplom-Betriebswirtin und gründete zusammen mit Thomas Rau Turntoo, eines der weltweit ersten Unternehmen, die nach den Prinzipien der Circular Economy arbeiten. In ihrem Buch „Material Matters“ zeigen Sabine Oberhuber und Thomas Rau, wie die nachhaltigen Geschäftsmodelle der Zukunft aussehen können – und schon heute entstehen.

Eine Anmerkung zu unseren Buchempfehlungen: wir sind sehr dafür, dass Bücher beim kleinen Buchladen um die Ecke oder auch bei Shops wie Buch7 (die mit 75% ihres Gewinns soziale Projekte unterstützen) gekauft werden. Wir benutzen hier aus praktischen Gründen Links zum Amazon-Shop, weil wir dann u.a. die Buchtitel im Rahmen des Partnerprogramms zeigen dürfen. Das heisst noch nicht, dass Ihr darüber auch bestellen müsst, aber wenn Ihr das tut, verwenden wir die Einnahmen daraus (5% auf jede Bestellung) für die Community-Arbeit von LES ENFANTS TERRIBLES.

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