»Wir können es wagen!«

  • 10.07.2019
  • von christiane kuerschner
Ein Interview mit Claudia Cornelsen über Tatendrang, Selbstfürsorge und einen neuartigen Gemeinschaftssinn ...
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Michael Bohmeyer gründete 2014 den Verein „Mein Grundeinkommen“, seither hat das Projekt schon mehr 368 Menschen unterstützt. Wer bei einer der Verlosungen die richtige Losnummer zieht, erhält ohne Bedingungen für ein Jahr 1000 Euro pro Monat. Das Geld für die Grundeinkommen sammelt die Community zusammen, die wie das Projektteam stetig wächst. Zu letzterem gehört auch Claudia Cornelsen, die sich gemeinsam mit Michael die Frage stellte, was die ersten verlosten Grundeinkommen bewirkten und welche Menschen hinter den Losnummern stehen. Daraus entstand das Buch „Was würdest du tun? Wie uns das Bedingungslose Grundeinkommen verändert“, das 2019 im Econ Verlag erschien.

Wir haben mit Claudia über ihre Reise zu den ersten Gewinnern des bedingungslosen Grundeinkommens und was es mit den Menschen macht gesprochen.

Liebe Claudia, wie bist du dazu gekommen, gemeinsam mit Michael Bohmeyer auf Reisen zu gehen?

Im Sommer 2018 hatten die ersten 100 Gewinner*innen ihr Grundeinkommensjahr abgeschlossen. Was hatten sie mit dem Geld gemacht? Was hatte sich in ihrem Leben verändert? Danach wurden wir von unterschiedlichsten Menschen aus  Wissenschaft, Medien und Politik ständig gefragt. Wir wollten endlich eine Antwort geben können – und brannten ehrlich gesagt selbst vor Neugier. 

Erzähle uns doch bitte von eurer Reise und welches Fazit du für dich gezogen hast.

Die Reise war völlig anders als erwartet. Ungewöhnlich war schon, dass alle, wirklich alle sich sofort Zeit für uns nahmen und geradezu danach lechzten, endlich über ihre Erfahrungen berichten zu dürfen. Dann überraschte uns die Vielfalt unter den Gewinner*innen, da war wirklich alles dabei: vom Baby bis zur Rentnerin, vom Obdachlosen bis zum Millionär, vom prekär Beschäftigten bis zum Beamten. Aber wirklich erstaunt hat uns, dass – egal ob die Menschen das Geld wirklich brauchten oder eigentlich genug oder im Überfluss davon hatten – alle sagten: “Es hat mein Leben verändert.” 

Unsere Erkenntnis: Es geht gar nicht darum, was die Menschen mit dem Geld machen, es geht darum, was die Bedingungslosigkeit mit den Menschen macht!

Welche Begegnungen waren für dich am überraschendsten?

Ach, im Grunde steckte in jeder Begegnung irgendetwas Überraschendes. Aber nachhaltig beeindruckt hat mich die scheinbar spießige, CSU wählende Kleinstadt-Oma aus Nordbayern. Sie entpuppte sich als disziplinierte Kämpferin, die alleinerziehend zwei Töchter groß gezogen hatte und sich mit drei prekären Jobs als Putzfrau, Kellnerin und Bürohilfe tapfer über Wasser hielt.

Das Grundeinkommen hat diese demütige Frau genutzt, um einem Arbeitgeber, der ihre Not jahrelang auf miese Art ausgenutzt hatte, den “Stinkefinger” zu zeigen und sich einen Chef zu suchen, der sie fair und wertschätzend behandelt. Das Grundeinkommen hat ihr den Stolz zurückgegeben!

Was denkst du: Schenkt ein bedingungsloses Grundeinkommen finanzielle Freiheit oder ist die Wirkung eine ganz andere?

Freiheit ist eine von sechs Wirkungen, die wir ausgemacht haben, oder genauer gesagt zwei: nämlich die “Freiheit von” und die “Freiheit zu”. Der Einstieg in diesen Erfolgskreislauf des Grundeinkommensgefühls, wie wir es nennen, ist bedingungsloses Zutrauen: Hier hast du, was du zum Leben brauchst. Zeig mir, was du kannst! Die Menschen entdecken dadurch bisherige Abhängigkeiten, von denen sie sich jetzt lösen können. Aber sofort entstehen neue Fragen: Was will ich? Was kann ich? Wozu habe ich Lust? Und was brauche ich dafür?

Es entsteht Tatendrang, Selbstfürsorge und mit der Zeit auch ein neuartiges Gemeinschaftsgefühl, weil die Menschen merken, dass sie nicht allein sind auf der Welt. Das bedingungslose Grundeinkommen schenkt Geborgenheit, und das wird mit Großzügigkeit gegenüber den Mitmenschen zurückgezahlt. Wem gegönnt wird, der gönnt auch anderen.

Kleines Gedankenexperiment: Welche spürbaren gesellschaftlichen Veränderungen erwartest du beim Realisieren des bedingungslosen Grundeinkommens?

Naja, wir hatten unsere Reise mit hochtrabenden Phantasien gestartet, dass die Menschen alle lauter Wunderwerke beginnen, ökologische Fliwatüüts erfinden oder anfangen, die Welt zu retten. Deswegen waren wir zunächst eher ernüchtert, dass die Gewinner*innen das Geld “nur blöd verkonsumiert” haben.

Aber dann wurde uns klar, dass Geld eben Geld ist, und dass man mit Geld nicht viel machen kann; man kann es ausgeben, sparen, investieren oder verschenken. Punkt. Das haben die Menschen auch mit dem Grundeinkommen gemacht. Aber die Erfahrung der Bedingungslosigkeit hat ihre Haltung zur Welt verändert und so änderte sich ihr Verhalten. Sie wurden achtsamer und rücksichtsvoller sich selbst und anderen gegenüber. Haltung, Verhalten und Verhältnisse stehen miteinander in Wechselwirkung. Wenn 82 Millionen Deutsche oder sieben Milliarden Menschen auf der Welt sich achtsam und rücksichtsvoll verhalten würden, hätten wir eine völlig andere Welt, vermutlich eine deutlich bessere, oder? 

Ein klassisches Argument gegen das bedingungslose Grundeinkommen ist das Problem der Finanzierung. In eurem Buch sagt ihr, dass die Finanzierung eben keine Milchmädchenrechnung sei, sondern bereits jetzt als steuerlicher Freibetrag schon Realität ist. Kannst du uns das erklären?

In Deutschland haben wir schon heute ein weltweit vorbildliches Sozialsystem. Doch obwohl dabei grob auch etwa tausend Euro im Monat ausgezahlt werden, erleben die Menschen das nicht als Beflügelung wie in unserem Experiment. Die meisten Deutschen wissen gar nicht, dass sie bereits ein Art Grundeinkommen haben. Es nennt sich “Steuerfreibetrag” oder “Pfändungsfreigrenze” und wird bedingungslos ausgezahlt. Wer ein Einkommen hat — egal ob aus Erwerbsarbeit oder aus Erträgen von Aktien, Immobilien oder anderen Vermögenswerten –, zahlt das Geld am Ende des Monats wieder an den Staat zurück. Der Einfachheit halber wird das verrechnet, nur wird es dadurch leider unsichtbar.

Das Buch zum Interview.

Ich wünschte mir, wir bekämen jeden Monat ein freundliches Schreiben aus dem Finanzministerium. Dann würde allerdings auch deutlich, dass reiche Menschen, egal was sie tun, höhere Freibeträge, also auch ein höheres Grundeinkommen haben, als arme. Die Ungerechtigkeit ist nicht nur finanzieller Art: Menschen in Hartz IV werden zudem durch unendliche Bedarfsprüfungen gegängelt und obendrein durch Sanktionen bedroht. Das Geld wird zum brutalen Erziehungsmittel. Das ist schwarze Pädagogik.

Unser Sozialsystem stammt aus dem 19. Jahrhundert und braucht dringend ein Update. Das Festhalten am autoritären Geist Otto von Bismarcks sabotiert den gesellschaftlichen Zusammenhalt und verhindert freie, selbstbewusste, kreative Arbeitsformen, die wir im Zeitalter der Digitalisierung endlich leben könnten. Wenn wir es richtig anstellen, wäre ein Grundeinkommen ohne gesellschaftliche Mehrkosten allein durch minimale Eingriffe in die aktuelle Umverteilungsdynamik finanzierbar.

Es werden immer mehr Tätigkeiten von KI und Algorithmen übernommen, für viele Jobs werden Menschen nicht mehr gebraucht und nicht jeder ist für ein Informatik-Studium geboren. Ist mit diesem erwartbaren Wandel unserer Arbeitswelt das bedingungslose Grundeinkommen nicht ein notwendiger und unausweichlicher Schritt?

Ich teile weder die Dystopie, noch den Arbeitsbegriff. Die Erfindung des Traktors machte  Millionen Landarbeiter überflüssig. Nach der Erfindung des Selbstwähltelefons wurden tausende Telefonistinnen entlassen. Doch Arbeit gibt es genug. Wir müssen sie nur ermöglichen! Schon heute wird ein Drittel gesellschaftlich wertvoller Arbeit verrichtet, die wir nicht bezahlen: Erziehungsarbeit, Care-Arbeit, soziale, ökologische, politische, künstlerische und philosophische Arbeit.

Sie wird zwar von der Gemeinschaft finanziert, also durch indirekte Transferzahlung, aber indem wir das Gemeinschaftsgeld durch Mittelsmänner – etwa in Form des Ehegattensplittings – weiterreichen lassen, verschleiern wir die Finanzierung und schaffen eine Macht-Instanz, die allzu oft missbraucht wird. Deswegen ist es richtig, parallel den Wandel unserer Arbeitwelt und den notwendigen Wandel unseres Lohn- und Steuersystem in Angriff zu nehmen. 

Woran fehlt es: Am Mut neue Wege zu gehen oder an Überzeugung bei den Entscheidungsmachern?

Ich möchte nicht über Gründe nachdenken, warum etwas nicht geht, sondern lieber über Wege, wie etwas geht. Ich frage deswegen immer: Wozu hast du Lust? Und was brauchst du dafür? Oft fällt es Menschen schon schwer, die erste Frage zu beantworten. Die Erfahrung zeigt, dass das Grundeinkommen ein Türöffner zu den verschütteten inneren Sehnsüchten und Träumen ist. Der Cocktail aus Bedingungslosigkeit und Sicherheit wirkt wie ein Zaubertrank und gibt den Menschen die Kraft, sich den existenziellen Herausforderungen unserer Zeit zu stellen. 


Claudia Cornelsen, 52, ist Kommunikationsberaterin in Berlin. Seit über 20 Jahren berät sie Frauen und Männer im Topmanagement und schrieb bereits über 60 Bücher. Sie gehört seit vielen Jahren zu den treibenden Kräften der Vereine “Mein Grundeinkommen” und “Sanktionsfrei”. Zusammen mit Michael Bohmeyer ver­fasste sie zuletzt den Spiegel-Bestseller „Was würdest du tun? Wie uns das Bedingungslose Grundeinkommen verändert“ (Econ Verlag).


Eine Anmerkung zu unseren Buchempfehlungen: wir sind sehr dafür, dass Bücher beim kleinen Buchladen um die Ecke oder auch bei Shops wie Buch7 (die mit 75% ihres Gewinns soziale Projekte unterstützen) gekauft werden. Wir benutzen hier aus praktischen Gründen Links zum Amazon-Shop, weil wir dann u.a. die Buchtitel im Rahmen des Partnerprogramms zeigen dürfen. Das heisst noch nicht, dass Ihr darüber auch bestellen müsst, aber wenn Ihr das tut, verwenden wir die Einnahmen daraus (5% auf jede Bestellung) für die Community-Arbeit von LES ENFANTS TERRIBLES.

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