»Kinder-, Eltern- und Erwachsenen-Ichs«

  • 22.05.2019
  • von Bianca Bischof
Joanna Gröning über das Erwachsen-Sein und der Nutzen der Transaktionsanalyse von Eric Berne ...
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 Joanna Gröning ist Heilpraktikerin für Psychotherapie und Gründerin von „Raum für Entwicklung“ sowie Coach unserer Ausbildung zum*r New Work Professional. Im ersten Leben war sie Medienwissenschaftlerin und Dokumentarfilmproduzentin.

Im Interview mit Joanna sprechen wir übers Erwachsen-Sein und Erwachsen-Werden, über das Modell der Transaktionsanalyse von Eric Berne und wie es uns helfen kann, das Erwachsen-Sein voll anzunehmen und selbstwirksam zu werden. Was das alles mit >>gutem neuen Arbeiten<< zu tun hat und warum schon wieder Achtsamkeit ins Spiel kommt.

Joanna, du beschäftigst dich seit langem in deiner Arbeit als Coach mit dem Thema Erwachsen-Sein und der Verbindung mit der Transaktionsanalyse von Eric Berne. Warum ist dir das Thema Erwachsen-Sein so wichtig?

Ich sehe täglich die Folgen von “schlechtem alten Arbeiten” und die Auswirkungen alter, übernommener Denk- und Verhaltensweisen, die der Gegenwart einfach nicht mehr gerecht werden. Die Geschwindigkeit, sowohl in der Arbeitswelt als auch im privaten Bereich, hat stark zugenommen. Ich sehe in meiner Praxis viele äußerlich gut funktionierende Menschen, die innerlich aber erschöpft und längst an ihre Grenzen gestoßen sind. Die permanente Erreichbarkeit auf allen Kanälen, der Druck sich selbst zu optimieren, die vielen verschiedenen Rollen, die jeder heutzutage innehat, bzw. innehaben möchte, sind schlicht zu viel.  

Überforderung, Burn-out, körperliche Beschwerden und/oder Süchte sind vielerorts “normal” geworden. Selbst wenn man rein wirtschaftlich denkt, ist das ein Problem, da muss man nicht einmal Gutmensch sein. Um da raus zu kommen, müssen wir uns “aktualisieren”. Das heißt, wir müssen uns alter, überholter, unbewusst übernommener Denk- und Verhaltensmuster bewusst werden und neue, der gegenwärtigen Situation, angemessene entwickeln. Erwachsen-Sein hat sehr viel damit zu tun!  

Mich beschäftigt außerdem, dass viele Menschen mit Erwachsen-Sein etwas unattraktives verbinden. Den “Ernst des Lebens”, Pflichten, Verantwortung, Anstrengung und Langeweile, also das Gegenteil von Lebendigkeit, Lebensfreude, Leichtigkeit und Energie. Ich glaube, das ist ein Missverständnis und das ist schade. In der TA-Sprache (Transaktionsanalyse) würde dieses Negativbild eher dem kritischen Eltern-Ich entsprechen und die Reaktion darauf, kommt aus dem Kind-Ich. Was sich dann manifestiert sind brave Mäuschen oder Peter Pans, die nicht erwachsen werden können oder wollen und letztendlich in ihrer Wirksamkeit sehr begrenzt sind. Sind sie doch als Kinder im Zweifel abhängig und hilflos. Und es muß nicht so sein. Im Gegenteil: Ein stabiler Erwachsener ist freier als jedes Kind und kann dennoch leicht und spielerisch und “terrible” sein.

Und was genau können wir unter der Transaktionsanalyse verstehen? Wo kommt das Konzept her?

Die Transaktionsanalyse ist eine sehr praxisnahe Theorie, die der Psychiater Eric Berne Mitte des 20. Jahrhunderts begründet hat. Der Name ist etwas sperrig, bezieht sich aber auf etwas ganz Bodenständiges: Transaktionen sind das, was zwischenmenschlich passiert, z.B. verbale und non-verbale Kommunikation, aber auch innerpsychisch zwischen unterschiedlichen Persönlichkeitsanteilen. Über die Analyse dieser Transaktionen können wir Muster erkennen und verändern. Es gibt viele, sehr alltagstaugliche, nachvollziehbare Modelle, unter anderem jenes der Persönlichkeitsstruktur, welches das Resultat praktischer Beobachtungen ist. Die scheinbare Einfachheit der Modelle und Sprache ermöglicht auch Laien einen Zugang und folgt so einem der Grundsätze der Transaktionsanalyse: Transparenz, also Kommunikation auf Augenhöhe – sei es mit Patient*innen, Klient*innen, Kund*innen oder Kolleg*innen.

Woran erkennen wir nun, in welchem Anteil wir gerade stecken und vor allem, wie kommen wir wieder raus?

Eigentlich ist alles ganz einfach… man kann es wahrnehmen. Und dann wieder ist es erstmal ganz schwer…. man muss es wahrnehmen.

Ohne Quatsch, die unterschiedlichen Persönlichkeitsanteile fühlen sich unterschiedlich an. Das kritische Eltern-Ich denkt, fühlt und verhält sich ganz anders, als beispielsweise das angepasste Kind-Ich. Während das kritische Eltern-Ich recht stereotyp immer wieder die gleichen Vorwürfe und Mahnungen zum Besten gibt, fühlt sich das angepasste Kind-Ich eher unter Druck, ängstlich und hilflos. Jeder Anteil hat quasi eine eigene Persönlichkeit und drückt diese auch aus.

Mit Hilfe von Achtsamkeit können wir lernen, die unterschiedlichen Anteile wahrzunehmen. Und genau durch diese Achtsamkeit kommen wir auch aus der Identifikation mit einzelnen Anteilen raus. Der Teil, der achtsam und wertneutral beobachtet, ist im Hier und Jetzt. Und das ist der/die Erwachsene.

Uns wie ist es dann mit den Anderen. Wenn wir klar erkennen, in welchem ICH (Kind- oder Eltern-Ich) sich unser Gesprächspartner gerade befindet. Wie gelingt es uns, in ein Gespräch auf Augenhöhe zu kommen? Hast du einen Tipp für uns?

Wenn wir erkennen, in welchem ICH sich unser Gesprächspartner gerade befindet, dann heißt das erstmal noch gar nicht, dass wir nicht auf Augenhöhe sind. Ich kann ja entscheiden, auf die gleiche Ebene zu gehen.

Wenn mein Gegenüber zum Beispiel im freien Kind-Ich ist, dann kann ich mich in mein freies Kind begeben und das kann für ein gemeinsamen Brainstorm auch ganz toll sein.

Auch kann ich, wenn mir ein kritisches Eltern-Ich gegenüber steht, auch auf die Eltern-Ich Ebene gehen und dort können wir dann vielleicht sogar feststellen, dass wir Werte teilen!

Oh, das stimmt natürlich. 🙂 Und so wie du das beschreibst, kann das auch sicherlich Spaß machen und verbindend sein. Und manchmal ist es das leider auch nicht. Was also können wir tun, um gemeinsam ein Gespräch im Erwachsenen-Ich zu führen?

Wenn ich mir einen Austausch auf Erwachsenen-Ich-Ebene wünsche, dann kann ich zunächst einmal selbst in meine(n) Erwachsene(n) gehen. Ich kann dann mein Gegenüber einladen auch in seinen Erwachsenen zu gehen, indem ich nicht auf Angebote von “oben herab” oder von “unten herauf” eingehe. Oft bedeutet das, dem ersten Impuls nicht zu folgen, denn das sind dann oft die automatischen Abläufe, die eigentlich nur Wiederholungen aus vergangenen Zeiten sind. In der TA spricht man von Spielen. Eins der beliebtesten Spiele ist das Drama-Dreieck, bei dem es hoch hergehen kann und sich am Ende doch alle doof fühlen. Diese Spiele zu kennen und nicht auf sie einzusteigen, ist eine sehr gute Möglichkeit, Augenhöhe zu wahren, bzw. herzustellen.

In jedem Fall ist auch hier Achtsamkeit und Selbstkenntnis gefragt – ich empfehle deshalb gerne und immer regelmäßige Selbstreflektion.

Beim >>guten neuen Arbeiten<< versuchen wir den Austausch mit den Kollegen, Mitarbeitern und Vorgesetzten auf Augenhöhe zu gestalten. Wie kann uns die TA darin unterstützen?

Zum einen bietet die TA praxiserprobte Modelle, um die Kommunikation für alle Beteiligten transparent, theoretisch und praktisch zu durchdringen, z.B. anhand der Aufdeckung von Kommunikationsmustern, Spielern und Spielerpositionen. Und zum anderen bietet die TA eine Möglichkeit, die eigene Persönlichkeit weiter zu „ent-wickeln“, hin zu mehr Autonomie und weg von überholten, nicht hilfreichen Automatismen – klare Kommunikation im Hier und Jetzt zwischen eigenverantwortlichen Menschen, die die Fähigkeit zur Selbstreflektion haben. Klingt doch nicht schlecht, oder?  

Das klingt wunderbar!  Als Coach unserer Ausbildung zum*r New Work Professional hast du viel mit den Themen >>gutes neues Arbeiten<< und Persönlichkeitsentwicklung zu tun. Welche Herausforderungen siehst du im Wandel der Arbeitswelt? Welche Chancen siehst du darin?

Wir brauchen reife, autonome Erwachsene, die eigenverantwortlich handeln und aktiv (mit)gestalten. Das wird in Zukunft immer wichtiger, weil die alten hierarchischen Strukturen kooperativen Modellen weichen und immer weniger Positionen existieren werden, in denen man einfach nur aufgetragene Aufgaben “ausführt”. Das schmeckt vielleicht nicht jedem, aber ich denke, wir kommen da nicht drum herum.

Und ich finde darin liegt auch eine große Chance, nämlich die, die eigene Wirksamkeit zu erfahren. Das kann ungemein belebend sein für den Einzelnen, aber auch für ganze Gesellschaften, da sie so aus einer gewissen Verdrossenheit (Depression) herausfinden können. Obamas erste Wahlkampagne oder jetzt die Fridays for Future-Bewegung sind ganz gute Beispiele für das enthaltene Potential.

Die Herausforderung ist wie so oft der Übergang – die Transformation – in der wir ja schon mittendrin stecken. Und da wird und darf es ruckeln, da muss experimentiert werden und da werden auch Fehler gemacht. Keiner von uns hat laufen gelernt, ohne x-mal hinzufallen. Wichtig ist, dass wir anerkennen, dass es nicht immer und für alle leicht ist. Dass das sein darf und dass die Veränderung FÜR und nicht GEGEN den Menschen ist.

Und wenn ich sehe, was für tolle Menschen sich in der Ausbildung zum*r New Work Professional intensiv mit diesen Themen beschäftigen, dann bin ich optimistisch, dass wir auf einem guten Weg sind.

Du bist seit langem ein Enfant Terrible. Was macht für dich das Enfant Terrible-Sein aus? Und warum bist du gerne eins?  

Für mich ist ein gutes Enfant Terrible, ein erwachsenes Enfant Terrible. Ein(e) autonome(r) Erwachsene(r) im Sinne der TA, der/die sich einsetzt und gestaltet und keine Angst davor hat, Fehler zu machen oder aus der Reihe zu tanzen.

Danke Joanna!


Und für all diejenigen, die nun mehr über die Transaktionsanalyse erfahren möchten:

Joanna ist Speakerin/Impulsgeberin bei unserem nächsten Good Enfants-Terribles Tag in Berlin am 15.06.2019 und erforscht mit uns die drei Persönlichkeitsanteile der Transaktionsanalyse von Eric Berne – das Eltern-Ich, das Erwachsenen-Ich und das Kind-Ich. Sie hilft uns, zu verstehen in welchen Teil wir gerade feststecken und zeigt uns, wie wir das erkennen. 

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