»Balancieren balanciert«

  • 19.12.2018
  • von Gastautor*in
Laura Kroth berichtet, was ihr ihre Slackline fürs Leben gelehrt hat ...
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Laura Kroth hat uns einen kleinen feinen Artikel über’s Balancieren geschickt, den wir hier sehr gerne veröffentlichen. Mehr über Laura findet Ihr am Ende des Artikels.

Bei dem Begriff “Slack” denkt man im Kontext von Neuer Arbeit natürlich immer gleich an den US-amerikanischen Instant-Messaging-Dienst, nicht aber an eine Slackline, die möglicherweise dem obligatorischen Tischkicker im Büro den Rang abläuft.

Balancieren balanciert – wie mir meine Slackline Meditation gelehrt hat. Und warum das Büro der Zukunft eine Slackline zwischen zwei Bäume spannt.

Meine Knie zittern, als meine Füße versuchen, sich auf dem schmalen, wackeligen, blauen Band zu halten. “Nicht nach unten schauen!” ermahnt mich Sunita sanft, während ich ihre Hand fester in meine drücke. Meine Schultern sinken und ich entspanne mich, atme tiefer und konzentriere mich auf den Baum vor mir. Ich lasse ihre Hand los, und dann gehe ich, einen Schritt nach dem anderen.

Dieser Moment im Görlitzer Park ist nun etwa 2,5 Jahre her. Inzwischen ist Slacklinen zumindest in den wärmeren Jahreszeiten neben Tanzen, Schwimmen und Yoga zu einem neuen Hobby geworden. Vieles habe ich von der Slackline lernen dürfen. Dass ein schmales, wackeliges  Band zwischen zwei Bäumen mehr fordert als körperliche Fitness und Gleichgewichtssinn und mir dabei darüber hinaus lehrt, wirklich präsent und im Flow zu sein, das habe ich nicht geahnt, als ich das erste Mal auf einer Slackline stand.

Es klingt so einfach: Ein Band wird zwischen zwei Bäume gespannt, man steigt auf, läuft, fällt herunter, und beginnt wieder von Neuem. So wie surfen oder ein Instrument spielen, erfordert Slacklinen gerade zu Beginn eine große Portion Persistenz und Geduld.  

Um die ersten sicheren Schritte zu gehen, braucht es Zeit, Übung und den Geist eines Anfängers. Schritt für Schritt, werde ich daran erinnert, bescheiden zu sein und keine Erwartungen zu haben. Niemals aufzugeben. Immer wieder von Vorne anfangen. Diese Weisheiten lassen sich auch auf andere Bereiche meines Lebens übertragen.  

Auf der Slackline zu laufen ist wie in Bewegung zu meditieren, eine Gehmeditation unter erschwerten Bedingungen quasi. In meinem Körper ruhend und verbunden mit meinem Atem, vertraue ich mich meinem Gleichgewichtssinn an und – noch viel wichtiger –  dem gegenwärtigen Moment. Ich werde zu meinen Bewegungen, ausgerichtet in die vier Himmelsrichtungen zwischen zwei Bäumen vor und hinter mir, mit meinen Armen balancierend nach links und rechts, verwurzelt in die Erde unter mir, reicht mein Kopf weit nach oben Richtung Baumkrone und dem Himmel über mir.

Sobald mich ein Gedanke oder Gefühl entführt, oder ich der Angst vorm Fallen nachgebe, verliere ich das Gleichgewicht. Nur der nächste Schritt zählt. Also richte ich meine Aufmerksamkeit nach innen auf das Zentrum meines Körpers, spüre, wie meine Energie vom Kopf in meine Mitte sinkt, in die Gegend kurz unterhalb des Bauchnabels. Ich werde still, entspanne und genieße den gegenwärtigen Moment, die Weite im Kopf. Ich lass los. Schritt für Schritt.

Ich habe einmal gelesen, dass unsere Gleichgewichtssinn mit der Leistungsfähigkeit unseres Gehirns verbunden ist. Schüler, die ihren Gleichgewichtssinn trainieren, sollen in Mathematik bessere Ergebnisse erzielen, als solche, die sich rein auf die Lösung der mathematischen Aufgabe konzentrieren.

Ich wünschte, wir würden anders mit uns umgehen, wenn wir müde, erschöpft und unproduktiv sind. Ich wünsche mir, dass wir überdenken, wie wir für Erholung sorgen können während eines langen Arbeitstages. Denn ich glaube, dass Slacklinen das Potenzial hat, unsere Produktivität zu steigern und uns dadurch unterstützt, unseren natürlichen Flow zu finden.

Jedesmal, wenn ich das Glück habe, in der Nähe des Arbeitsplatzes eine Slackline aufzuspannen, spüre ich ganz deutlich eine Veränderung meiner Stimmung, einfach nur weil ich in einer kurzen Pause ein paar Schritte auf der Slackline gelaufen bin. Danach fühle ich mich erholt, geerdet und konzentriert.

Wenn eine Slackline mal nicht zur Hand sein sollte, tut es beim nächsten Nachmittagstief auch mein heißgeliebtes Nickerchen. Schon ein zehnminütiger Nappuccino soll die mentale Leistungsfähigkeit für drei Stunden erhöhen.

Ich träume von Büros, Schulen und Universitäten, die Zugang zu Slacklines haben. Ich träume von Rückzugsräumen, in denen man sich tagsüber bei der Arbeit nach dem Mittagessen für ein paar Minuten aufs Ohr legen kann. Nennt mich unsozial, merkwürdig oder übertrieben introvertiert, aber es hat mir nie wirklich Spaß gemacht, Tischfußball zu spielen. Erholung wollte sich dadurch jedenfalls definitiv nicht einstellen.   

Was ich zum Abschalten brauche und um wieder frische Energie zu tanken, sind Gedankenlosigkeit und Stille, entweder auf der Slackline, oder bei einem Powernap abgeschirmt mit Ohrenstöpseln und Schlafbrille auf dem weichen Boden eines entlegenen Konferenzraumes.

Was braucht Ihr, um bei der Arbeit abzuschalten und neu aufzutanken?   

Über Laura Kroth
Hallo, ich bin Laura. Ich schaffe Räume zur Exploration innerer Führung und begleite Menschen bei vielfältigen Veränderungsprozessen. Dies tue ich mit Design Thinking, Gewaltfreier Kommunikation, Dyaden Meditation und Intuition, als Coach in Organisationen und als Sterbebegleiterin im Hospiz. Außerdem tanze, koche und schreibe ich gerne. Ich liebe Serendipität, Bäume und Neuseeland.

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